Auf dem Weg des geringsten Widerstandes:
Imperialistischer Krieg und Pseudo-Sozialisten
Im Folgenden drucken wir die Übersetzung einer Polemik aus der
Nummer 25 unseres englischsprachigen, internationalen Organs 1917
(www.bolshevik.org/1917no.html#25)
ab. Sie erschien bereits vor Beginn
des Irak-Krieges und unterzieht die Politik einiger angeblich
trotzkistischer Gruppen einer marxistischen Kritik. Die meisten dieser
Gruppen haben deutsche Sektionen, insofern ist dieser Text auch
für den Klärungsprozess hierzulande relevant.
Marxisten streben nicht nur nach programmatischer
Klarheit, sondern auch nach internationaler programmatischer Einheit.
Der globale Kapitalismus muss durch eine proletarische Weltrevolution
gestürzt werden. Jede nationale Borniertheit steht dem entgegen:
Die Grundfragen von Kapitalismus und Sozialismus, Krieg und Frieden
sind internationale Fragen. Notwendig ist daher der Aufbau einer
revolutionären proletarischen Weltpartei mit einer international
einheitlichen politischen und strategischen Linie.
"Der Kampf gegen Krieg und seine
soziale Ursache,
den Kapitalismus, setzt eine direkte, aktive und
unmißverständliche Unterstützung für die
unterdrückten kolonialen Völker in ihren Kämpfen und
Kriegen gegen den Imperialismus voraus. Eine 'neutrale' Position ist
gleichbedeutend mit einer Unterstützung des Imperialismus."
(Leo
Trotzki: Resolution zum Anti-Kriegs-Kongress des Londoner Büros,
Juli 1936)
Der aktuelle US-Versuch, direkte Kontrolle über irakisches Öl
zu erlangen, hat Jahre offiziellen Gewäschs über die
Herrschaft des Rechts, die friedliche Beilegung von Differenzen und die
Rolle der UNO als Vermittlerin bei Konflikten der Weltgemeinschaft
zerstört. Der amerikanische Leviathan hat seinen Willen klar
gemacht, bornierte nationale Interessen durchzusetzen ohne
Rücksicht auf internationales Recht, diplomatische Nettigkeiten
oder gar die Empfindlichkeiten größerer Spieler wie
Deutschland und Japan.
Dieser neue Unilateralismus der Vereinigten Staaten,
der ihnen von ihren imperialistischen Verbündeten
übelgenommen wird, hat bei vielen aus den internationalen
radikalen/liberalen Kreisen eine Art von Ersatz-Anti-Imperialismus
populär gemacht. Auf dem letztens veranstalteten Treffen von
Antiglobalisierungsaktivisten in Florenz für das Europäische
Sozial Forum (ESF) stellte Susan George fest: "Nach dem Irak wollen die
Vereinigten Staaten eine Präsenz in vielen Orten rund um die Welt.
Sie wollen ein Weltreich basierend auf ökonomischer Herrschaft
errichten" (Zitiert nach Socialist Worker [Britannien], 23. 11. 2002;
eigene Übersetzung). Die Vereinigten Staaten haben bereits ein
Reich, aber George hat recht, dass die Eroberung des Irak, indem sie
die US-Kontrolle über das Öl des Mittleren Ostens
verstärkt, weitere brutale Attacken der einzigen "Supermacht" der
Welt vorbereiten wird.
Bolschewismus und neokoloniale Kriege
Die imperialistische Aggression gegen den Irak stellt einen Test
für jeden vorgeblichen Sozialisten dar. Das Thema ist einfach und
die marxistische Position ist unzweideutig:
"Wenn zum Beispiel morgen Marokko
an Frank-reich,
Indien an England, Persien oder China an Rußland usw. den Krieg
erklärten, so wären das gerechte Kriege,
Verteidigungskriege, unabhängig davon, wer als erster angegriffen
hat, und jeder Sozialist würde mit dem Sieg der
unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Staaten
über die Unterdrücker, die Sklavenhalter, die Räuber -
über die 'Groß'mächte - sympathisieren."
(Lenin:
Sozialismus und Krieg; LW Bd. 21)
Die Dritte (oder Kommunistische) Internationale, von
Lenin und den Bolschewiki nach dem sozialpatriotischen Verrat der
sozialdemokratischen Parteien im Ersten Weltkrieg ins Leben gerufen,
stellte "21 Bedingungen" für die Aufnahme, von denen eine
erklärte, dass Revolutionäre in allen imperialistischen
Ländern "verpflichtet" sind,
"die Verjagung ihrer
einheimischen Imperialisten aus
den Kolonien zu fordern, in den Herzen der Arbeiter ihres Landes ein
wirklich brüderliches Verhältnis zu der arbeitenden
Bevölkerung der Kolonien und zu den unterdrückten Nationen zu
erziehen und in den Truppen ihres Landes eine systematische Agitation
gegen jegliche Unterdrückung der kolonialen Völker zu
führen."
Diese Position wurde von Trotzki und der Linken
Opposition nach der stalinistischen Degeneration der Kommunistischen
Internationale verteidigt. Als Mussolini 1935 Äthiopien angriff,
antwortete Trotzki unmittelbar darauf:
"Natürlich sind wir für
die Niederlage
Italiens und den Sieg Äthiopiens und deswegen müssen wir
alles uns mögliche tun, um mit allen Kräften die
Unterstützung des italienischen Imperialismus durch andere
imperialistische Kräfte zu verhindern und zur gleichen Zeit, so
gut wir können, Waffenlieferungen an Äthiopien fördern."
(Trotzki: Der italienisch-äthiopische Konflikt; 17. 07. 1935;
eigene Übersetzung)
Trotzki hatte nicht mehr Sympathie für Haile
Selassie, unter dessen Herrschaft die Leibeigenschaft bestehen blieb,
als Revolutionäre heutzutage für Saddam Hussein haben, einen
blutigen Diktator und langjährigen imperialistischen Aktivposten.
Aber Marxistinnen und Marxisten widersetzen sich bedingungslos allen
und jeglichen imperialistischen Angriffen auf "unterentwickelte"
Länder aus Gründen, die Trotzki beim Äthiopien-Krieg
folgendermaßen umriss:
"Wenn Mussolini triumphiert,
bedeutet das die
Bekräftigung des Faschismus, die Stärkung des Imperialismus
und die Entmutigung kolonialer Völker in Afrika und sonst wo. Der
Sieg des Negus, würde dagegen einen gewaltigen Schlag nicht nur
gegen den italienischen Imperialismus, sondern gegen den Imperialismus
als Ganzes bedeuten und würde rebellischen Kräften
unterdrückter Völker einen kraftvollen Impuls verleihen. Man
muss schon völlig blind sein, um das nicht zu sehen." (Trotzki:
Über Diktatoren und die Gipfel von Oslo; 22. 04. 1936; eigene
Übersetzung)
Trotzki sprach das gleiche Thema erneut, von einer
leicht anderen Perspektive aus, ein paar Jahre später an:
"In Brasilien regiert nun ein
semi-faschistisches
Regime, das jeder Revolutionär nur mit Hass betrachten kann. Lasst
uns annehmen, England würde morgen in einen militärischen
Konflikt mit Brasilien treten. Ich frage Euch, auf welcher Seite des
Konflikts würde die Arbeiterklasse stehen? Ich werde für mich
persönlich antworten - in diesem Falle bin ich auf der Seite des
'faschistischen' Brasilien gegen das 'demokratische'
Großbritannien. Warum? Weil es in diesem Konflikt nicht um die
Frage von Demokratie oder Faschismus geht. Wenn England siegreich sein
sollte, wird es einen anderen Faschisten in Rio de Janeiro einsetzen
und Brasilien in doppelte Ketten legen. Wenn Brasilien auf der
Gegenseite siegreich sein wird, so wird dies dem nationalen und
demokratischen Bewusstsein einen mächtigen Impuls verleihen und
wird zur Absetzung von Vargas Diktatur führen. Die Niederlage
Englands wird zur gleichen Zeit dem britischen Imperialismus einen
Schlag versetzen und der revolutionären Bewegung des britischen
Proletariats einen Impuls verleihen."
(Trotzki: Anti-imperialistischer
Kampf ist der Schlüssel zur Befreiung; 23. 09. 1938; eigene
Übersetzung)
Das oben beschriebene Szenario ist voll und ganz auf
heutzutage anwendbar, wenn wir "Irak" für Brasilien und die "USA"
für England einsetzen. Dennoch betrachten die meisten
"leninistischen" und "trotzkistischen" Organisationen dieser Welt heute
die Positionen, die von Lenin und Trotzki aufgestellt wurden, als
absurd sektiererisch. Ihre Einstellungen gleichen denen Karl Kautskys,
des ursprünglichen "demokratisch-sozialistischen" Gegners des
Bolschewismus, der den Imperialismus lediglich als eine schlechte
politische Entscheidung betrachtete, die durch genug öffentlichen
Druck korrigiert werden könne.
Healyistische Cheerleader und irakische Kollaborateure
Während die Antworten der meisten linken Gruppen auf die Bedrohung
des Iraks als sozialpazifistisch charakterisiert werden können,
gibt es auch Ausnahmen. Die britische Workers Revolutionary Party - ein
Überbleibsel von Gerry Healys gleichnamiger Organisation
politischer Banditen - jubelte Saddam Husseins nahezu 100%ige
Unterstützung in einem grob manipulierten Referendum als eine
"absolut unvorhergesehene Demonstration durch das gesamte irakische
Volk" (Newsline, 19. 10. 2002) hoch. Nach Ansicht der WRP hat das
imperialistische Tyrannisieren nur den "Erfolg gehabt, die nationale
Revolution" unter Saddam Husseins Führung "wieder zu entfachen",
"eine Errungenschaft, die sie [die Imperialisten] teuer zu stehen
kommen wird".
Die traurige Wahrheit ist, dass die Brutalität
von Saddam Husseins Herrschaft viele Irakis die Errichtung eines
US-Marionetten-Regimes oder sogar eine US-Besatzung vorbehaltlos
begrüßen lässt. Ein Gefühl, das die Irakische
Kommunistische Partei scheinbar begierig anzapfen will. In einem
Statement vom 28. September 2002 mit dem Titel "Solidarität mit
dem irakischen Volk für Frieden und Demokratie" fordern diese
Kollaborateure ein "Verstärken der politischen und diplomatischen
Isolation von Saddams diktatorischem Regime" im Namen der
"Menschenrechte".
Die ex-stalinistischen Humanisten der
Kommunistischen Arbeiterpartei des Irak sprechen sich wenigstens gegen
einen US-Angriff aus, bestehen aber darauf, Saddam Hussein mit George
Bush gleichzusetzen und weigern sich, eine Seite zwischen diesen beiden
zu beziehen. Diese Sichtweise wird von vielen ‘Linkskommunisten’ und
Anarchisten geteilt, die unter dem Banner "Kein Krieg sondern
Klassenkrieg" marschieren. Dieser linksklingende Slogan ist nichts
weiter als eine Erklärung der Neutralität in Konflikten
zwischen unterdrückenden und unterdrückten Nationen.
Während viele jugendliche Aktivisten diese Formel auf den Irak
anwenden, wenden sie sie nicht im Falle des palästinensischen
Kampfes gegen zionistische ethnische 'Säuberungen' oder den
irisch-republikanischen Widerstand gegen die britische Besatzung an.
"Massen"-Anti-Kriegs-Bewegungen als Volksfronten
Eine gemeinsame Sichtweise unter scheinbar revolutionären
Organisationen ist, dass imperialistische Aggression am besten mit
"breiten", d. h. liberalen, reformistischen Anti-Kriegs-Mobilisierungen
entgegen getreten werden kann. In den Vereinigten Staaten war die
stalinophile Workers World Party (WWP) der Hauptinitiator hinter den
großen nationalen Anti-Kriegs-Demonstrationen. Die gleiche Rolle
spielte in Großbritannien Tony Cliffs Socialist Workers Party
(SWP) [hierzulande: Linksruck] und in Frankreich die Ligue Communiste
Revolutionaire (LCR - Flagschiff der Reste des Vereinigten
Sekretariats) [hierzulande: Revolutionär Sozialistischer Bund
(RSB)]. In jedem dieser Fälle wird den ‘Revolutionären’
erlaubt, Lautsprecheranlagen zu stellen, Öffentlichkeitsarbeit zu
leisten, Plakate zu drucken und Ordner zu stellen. Aber die politische
Analyse bleibt den wichtigen Personen (Liberalen, Sozialdemokraten,
Pfaffen und Gewerkschaftsfunktionären) überlassen, die
eingeladen werden, um diese Plattformen zu schmücken und den
Veranstaltungen Respektabilität und Legitimität zu verleihen.
Wenn Mitglieder der ‘revolutionären’ Gruppe es auf die Bühne
schaffen, dann als Repräsentanten einer weichgespülten
Frontorganisation und sie nehmen kaum Bezug auf Marxismus, Sozialismus
oder "Revolution". Sie sind niemals so unfreundlich, die Gastsprecher
zu kritisieren.
In den USA von "breiten" Anti-Kriegs-Bewegungen zu
sprechen, bedeutet um Unterstützung von ‘fortschrittlichen’
bürgerlichen Politikern wie Jesse Jackson oder Teddy Kennedy zu
buhlen. Auf Veranstaltungen der WWP gibt es kein unfreundliches Wort
für liberale Demokraten. Außerhalb der USA werden die
klassenkollaborationistischen Aspekte durch Appelle an ihre ‘eigenen’
imperialistischen Herren ausgedrückt, den Irak vor den bösen
Amerikanern zu schützen. Die Uneinigkeit zwischen den Vereinigten
Staaten und ihren schwächeren imperialistischen Rivalen hat keinen
progressiven Inhalt - vielmehr spiegeln sie nur die unterschiedlichen
Interessen und spezifischen Gewichte der verschiedenen nationalen
Bourgeoisien wider. Die jüngste Aufregung über das
"unilaterale" Einschüchtern des Irak durch die USA verlieh dem
UN-Sicherheitsrat nur die Legitimität, eventuell
Unterstützung für Washingtons Kampagne zu geben.
In Frankreich begann die Anti-Kriegs-Aktivität
der LCR am 9. September mit einem Aufruf zur Vereinigung "aller
Pazifisten" (vermutlich einschließlich ihrer selbst) in einer
Bewegung, um die Euro-Imperialisten dazu zu "zwingen", einen US-Angriff
abzuwehren:
"In den Straßen, den
Arbeitsplätzen, den
Nachbarschaften, lasst uns die Kräfte aller Pazifisten einen.
Lasst uns gemeinsame Komitees und Demonstrationen organisieren. Lasst
uns unsere Regierungen, Chirac und Schröder, zwingen, mit Bush zu
brechen und den dreckigen Krieg zu verhindern."
Die LCR initiierte am 12. Oktober 2002 einen
nationalen Protesttag, basierend auf einer von 20 Organisationen
unterzeichneten, gemeinsamen Erklärung:
"Wir akzeptieren nicht die
Vorstellung eines
'Präventivkrieges', vorangetrieben durch die USA, der in absolutem
Widerspruch zu der UN-Charta steht. ... Frankreich muss diesen Krieg
ablehnen. Es kann und muss sein Veto im UN-Sicherheitsrat nutzen. Es
muss zudem mit seinen europäischen Partnern für eine
politische Verhandlungslösung sorgen." (Rouge, 3. 10. 2002 eigene
Übersetzung)
Sich vor der imperialistischen Propaganda in Bezug
auf die Bewaffnung des Irak beugend, sprach sich diese gemeinsame
Erklärung auch für "die Erneuerung von regionalen und
globalen Abrüstungsprozessen, insbesondere im Mittleren Osten ..."
aus. Die LCR war offenbar ein wenig verlegen, nahm es aber hin: "Wenn
auch zahlreiche Formulierungen dieses Aufrufes einen Kompromiss
repräsentieren, so nimmt doch der breite geeinte Charakter den
Erfolg vorweg, der den ersten Tag der Proteste auszeichnen kann ...."
Die britische SWP: Beste Organisatoren des Sozialpazifismus
Am 28. September 2002 hielt die "Stop the War-Coalition" (StWC) der SWP
in London eine riesige Demonstration ab, die 300.000 Menschen anzog.
Vor 2000 Radikalen des Europäischen Sozial Forums in Florenz
sprechend gab Lindsey German, in Personalunion Anführerin der SWP
und Sprecherin der StWC, der Aktion einen linken Dreh:
"Lindsey argumentierte, dass die
Anti-Kriegs-Bewegung in Britannien so stark war, weil sie einen 'klaren
Standpunkt zur Frage des Imperialismus bezog. Wir verstanden, dass dies
ein Krieg für Öl und US-Vormacht war. Wir weigerten uns, den
Standpunkt zu übernehmen, dass
die Taliban oder Saddam Hussein gleich starke Gegner für den US-
und britischen Imperialismus sind.'" (Socialist Worker (Britannien),
16. 11. 2002; eigene Übersetzung)
Doch in einem Artikel der Socialist Review merkte
Lindsey an, dass eine der "wichtigen Entscheidungen", die das Fundament
für den Erfolg der StWC gelegt hätten, war:
"Sie hat ein spezifisch
anti-imperialistisches
Programm zurückgewiesen, indem sie argumentierte, dass alle, die
Krieg, rassistische Übergriffe und Angriffe auf Bürgerrechte
ablehnen, dazu eingeladen sind, mitzumachen. Die Mitgliedschaft auf
diejenigen zu beschränken, die ein Verständnis vom
Imperialismus haben, würde sie von breiter Unterstützung
abschotten."
Es ist keineswegs prinzipienlos, sich an einer
Einheitsfront mit Sozialdemokraten, Pazifisten und Geistlichen auf der
Basis einer gemeinsamen Opposition zu einem bestimmten
imperialistischen Abenteuer zu beteiligen. Aber für
Revolutionäre liefern solche Bündnisse eine Möglichkeit,
die Überlegenheit des marxistischen Programms gegenüber dem
wirren Reformismus zu zeigen. Die SWP hat dagegen eine Bewegung
organisiert, von der jede Form marxistischer Politik erfolgreich
ausgeschlossen ist. SWP-Interventionen in der StWC sind genauestens
darauf zugeschnitten, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu kommen,
den auch Sozialdemokraten, Bischöfe, und
Gewerkschaftsbürokraten teilen, deren Unterstützung als
wichtig für den 'Erfolg' der Bewegung gesehen wird. Die
Abwesenheit von jeglichem 'gottlosem Kommunismus' auf Koalitionstreffen
machte es für die SWP auch leichter, einen Block mit Islamisten zu
bilden. Seit die Cliffites 1979 Ayatollah Khomeinis arbeiterfeindliche
"Islamische Revolution" hochjubelten, neigen sie dazu, die
‘progressive’ Seite des islamischen Fundamentalismus zu sehen (siehe
Islam, Imperium und Revolution; BOLSCHEWIK Nr. 19).
Neben Baronin Uddin vom House of Lords schloss die
Gruppe der Sprecher auf der Demonstration vom 28. September auch
Reverend Peter Price, den Bischof von Bath und Wells ein, der die
Gelegenheit nutze, Saddam zu verurteilen und die "legitime Rolle" der
UN-Waffeninspekteure zu empfehlen:
"Lasst uns
unmissverständlich sagen, dass wir
Saddam und sein Regime als wirkliche Bedrohung für sein eigenes
Volk, die Nachbarländer und die Welt sehen. Saddam muss die
Repression gegen sein eigenes Volk beenden, seine Versuche,
Massenvernichtungswaffen zu entwickeln, aufgeben und die legitime Rolle
der UN anerkennen, die dafür sorgt, dass er dies tut."
Die sich selbst verleugnenden ‘Revolutionäre’
der SWP erschienen nicht im eigenen Namen auf der Bühne und German
erzählte der Menge als StWC-Sprecherin: "Dieser Krieg geht um
Öl und um die strategischen Interessen Amerikas. Es handelt sich
um einen Krieg der Reichen gegen die Armen." Aber anstatt den
offensichtlichen Schluss zu ziehen - dass es notwendig ist, sich auf
die Seite "der Armen" gegen "die Reichen" zu stellen (also, den Irak
gegen die Blair/Bush-Achse des Bösen zu verteidigen), machte
German einen kriecherischen pazifistischen Appell: "Die Botschaft
dieser Demonstration ist nicht Krieg unter der UNO, sondern kein Krieg
unter keinen Umständen." Für Revolutionäre sollte die
"Botschaft" jedoch sein, dass die arbeitende Bevölkerung und die
Unterdrückten ein vitales Interesse an der Verteidigung des Irak
haben. In ihrem Socialist Review-Artikel schlägt German vor "Die
Koalition kann nicht ruhen, bis wir den Krieg gestoppt haben!" vor und
behauptet:
"Wir haben das Potential, den
Krieg zu stoppen. Bush
und Blair haben einen entschiedenen Kurs eingeschlagen und werden nicht
erlauben, dass eine Demonstration sie stoppt. Aber wir haben sie
erschüttert und wir haben die Kraft sie solange zu
erschüttern, bis sie den Rückzug antreten, wie sie es auch in
Vietnam gemacht haben."
Ist die SWP-Führung dumm genug, das wirklich zu
glauben oder versucht sie einfach nur, die Mitglieder anzuspornen? Die
Vereinigten Staaten zogen sich aus Vietnam zurück, weil 50.000
ihrer Soldaten, die nach Indochina geschickt wurden, um die soziale
Revolution zu zerschlagen, in Leichensäcken nach Hause kamen. Mit
der Zeit wurden die Jugendlichen aus dem Proletariat und den
Minderheiten, aus denen die Wehrpflichtarmee überwiegend bestand,
immer rebellischer und eine Stimmung der Ablehnung der herrschenden
Klasse und ihres konterrevolutionären Krieges begann zu wachsen.
Die Organisation von großen sozialpazifistischen
‘Friedens’demonstrationen durch reformistische ‘Trotzkisten’ mit
Politikern der bürgerlichen Demokratischen Partei, die den Ton
bestimmten, spielten eine unwesentliche Rolle dabei, den Krieg zu
beenden. Aber sie half, den öffentlichen Zorn zurück in den
Rahmen bürgerlicher Politik zu kanalisieren. Die Größe
der Demonstrationen lieferte einen Maßstab für das
Ausmaß der Opposition gegen den Krieg, aber die offene
anti-imperialistische Stimmung, die sich unter Schichten der
US-Arbeiterklasse, insbesondere unter Vietnamveteranen und der
schwarzen Jugend, entwickelte, fand keinen Ausdruck in der offiziellen
‘Friedensbewegung’.
Die erfolgreichste ‘Anti-Kriegs’-Bewegung der
Geschichte wurde von der Bolschewistischen Partei in Russland
während des 1. Weltkriegs angeführt. Diese Bewegung wurde
nicht mit dem Sozialpazifismus der SWP aufgebaut. In der Tat lässt
sich Lenins Denunziation von Pseudo-Sozialisten, die sich weigerten,
den Kampf gegen den imperialistischen Krieg mit dem Kampf zum Umsturz
der kapitalistischen sozialen Ordnung zu verbinden, wie eine Polemik
gegen die SWP lesen:
"Pazifismus und abstrakte
Friedenspredigt sind eine
Form der Irreführung der Arbeiterklasse. Im Kapitalismus, und
besonders in seinem imperialistischen Stadium, sind Kriege
unvermeidlich."
"Eine Friedenspropaganda, die
nicht begleitet ist
von der Aufrufung der Massen zu revolutionären Aktionen, kann in
der gegenwärtigen Zeit nur Illusionen erwecken, das Proletariat
dadurch demoralisieren, daß man ihm Vertrauen in die
Humanität der Bourgeoisie einflößt, und es zu einem
Spielzeug in den Händen der Geheimdiplomatie der
kriegführenden Länder machen.
Insbesondere ist der Gedanke
grundfalsch, daß ein sogenannter
demokratischer Frieden ohne eine Reihe von Revolutionen möglich
sei."
(Lenin: Die Konferenz der Auslandssektionen der SDAPR; LW Bd. 21)
Die International Socialist Organisation (ISO),
ehemalige amerikanische Sektion der International Socialist Tendency,
die von der SWP in einem Streit um die Hackordnung ausgeschlossen
wurde, ist in Anti-Kriegs-Aktivitäten an den Universitäten
engagiert. Die Ausgabe des Socialist Worker der ISO vom 25. 10. 2002
spricht von dem "Drang, das Amerikanische Reich auszuweiten" und stellt
fest, dass "jetzt sogar rechte Kommentatoren von 'Imperialismus'
sprechen". Der Artikel kritisiert "einige bekannte Stimmen aus der
Antikriegsbewegung", die Illusionen darin haben, dass "der
US-Imperialismus einen 'gerechten' Krieg in einigen Fällen
führen könnte, aber nicht in anderen".
Aber anstatt herauszustellen, dass der Widerstand
des Iraks gegen den US-geführten Krieg ein "gerechter Krieg" sein
würde, schlägt die ISO einen sozialpazifistischen Standardton
an: "Sozialisten haben immer eine führende Rolle im Kampf gegen
Krieg gespielt - und es gibt keinen Grund, warum das heutzutage anders
sein sollte." In Wirklichkeit haben Sozialisten nicht immer "gegen
Krieg gekämpft". Die Bolschewiki schlugen nicht vor, "gegen Krieg
zu kämpfen", sondern "den imperialistischen Krieg in einen
Bürgerkrieg zu verwandeln", d. h. in einen Kampf für die
sozialistische Revolution. In Sozialismus und Krieg schrieb Lenin:
"daß wir die Berechtigung,
Fortschrittlichkeit
und Notwendigkeit von Bürgerkriegen voll und ganz anerkennen, d.h.
von Kriegen der unterdrückten Klasse gegen die unterdrückende
Klasse, der Sklaven gegen die Sklavenhalter, der leibeigenen Bauern
gegen die Gutsbesitzer, der Lohnarbeiter gegen die Bourgeoisie."
Trotzki organisierte die Rote Armee, die die
Weißen und ihre 'demokratischen' imperialistischen
Unterstützer schlug, einschließlich der Vereinigten Staaten
und Britanniens. Echte Sozialisten beziehen eine Seite, wenn
Imperialisten koloniale oder neokoloniale Länder angreifen - sie
labbern nicht über "Kampf gegen den Krieg" im Abstrakten.
LRKI: Auf beiden Stühlen sitzen
Die britische Workers Power-Gruppe, die wie die ISO ihren Ursprung in
der International Socialist Tendency hatte, präsentiert sich
selbst als ernsthafte, orthodox-trotzkistische Alternative zum
Opportunismus der SWP. Workers Power und seine Mit-Denker in der Liga
für eine Revolutionär-Kommunistische Internationale (LRKI)
[in Deutschland Gruppe Arbeitermacht (GAM)] veröffentlichten am
23. September 2002 eine Erklärung, die feststellte:
"Wir streben danach, den Krieg
durch
Massenmobilisierungen, die das System bis auf seine Grundfesten
erschüttern und die Kriegstreiber stürzen werden,
aufzuhalten. Zuerst und vor allem muss dies in den imperialistischen
Ländern selbst geschehen. Wenn der Krieg ausbricht, müssen
wir klar und unzweideutig die totale Niederlage der imperialistischen
Invasion und den Sieg des irakischen Widerstandes fordern."
"Nur dies unterscheidet eine
revolutionäre
Opposition gegen den Krieg von denjenigen, [die] einfach Frieden,
UN-Intervention oder Vermittlung fordern. Die reformistische Linke wird
uns auf der Grundlage, dass das die Unterstützung Husseins
bedeutet, angreifen...."
Das klingt sehr gut, aber nur ein paar Wochen zuvor
unterzeichnete Workers Power am 8. September einen Aufruf für ein
Vorbereitungstreffen des Europäischen Sozialforums, der
erklärte:
"Diejenigen, die ihre
Solidarität mit dem
irakischen Volk zeigen, werden im Weißen Haus nicht
angehört. Aber wir haben die Chance, die europäischen
Regierungen zu beeinflussen - viele von ihnen sind gegen den Krieg. Wir
rufen alle europäischen Staatsoberhäupter auf,
öffentlich Stellung gegen diesen Krieg zu beziehen, gleich ob er
UN-Unterstützung hat oder nicht und Bush aufzufordern, seine
Kriegspläne aufzugeben."
Halbwegs intelligente Menschen könnten sich
fragen, warum ernsthafte Sozialisten zu einem "Sturz" der
imperialistischen Kriegstreiber aufrufen, während sie gleichzeitig
an diese appellieren, "Stellung gegen" den Krieg zu beziehen. Das ist
die Vorstellung der LRKI von "Taktik" - auf beiden Stühlen
gleichzeitig zu sitzen. Für diese Zentristen ist nichts wichtiger,
als "Isolation" zu vermeiden. Also wollte Workers Power, nachdem die
LCR, die SWP, Dutzende von stalinistischen, sozialdemokratischen,
grünen und anderen kleinbürgerlichen Gruppen unterschrieben
hatten, nicht außen vor bleiben. Trotzki war derartige
Doppelzüngigkeit bekannt:
"Der Zusammenhang zwischen Worten
und Taten ist ein
Kennzeichen einer ernsthaften revolutionären Organisation.
Für eine ernsthafte revolutionäre Organisation sind die
Resolutionen, die sie auf ihren Treffen aufstellt, keine reinen
Formalitäten, sondern das dokumentierte Resultat der Erfahrungen,
die sie in Aktionen angesammelt hat und Leitfaden für ihre
Aktionen in der Zukunft. Für Zentristen ist eine
'revolutionäre These', angenommen bei einem feierlichen Anlass,
dazu da, als irreführende Dekoration zu dienen, als Deckmantel
für unvereinbare Widersprüche in ihren Reihen, als Tarnung
für ihre nichtrevolutionären Taten in der vorangegangenen
Periode ebenso wie in der kommenden Periode."
(Trotzki: Resolution zum Anti-Kriegs-Kongress des Londoner
Büros; Juli 1936; eigene Übersetzung).
Die SWP ist glücklich, Workers Power in ihrer
"Stop the War-Coalition" zu haben und gestattet ihnen sogar einen Platz
im Leitungskomitee. Workers Power konstituiert einen zahmen linken
Flügel, dem man vertrauen kann, dass seine 'revolutionären'
Aktivitäten besonnen und harmlos durchgeführt werden. Beim
Hochjubeln der 'brillianten' Demonstration vom 28. September 2002 in
London kommentierte Workers Power weder deren pazifistischen
politischen Charakter noch die Abwesenheit von allem, was auch nur
annähernd ihrem angeblichen Eintreten für "die totale
Niederlage der imperialistischen Invasion und den Sieg des irakischen
Widerstandes" entsprochen hätte. Ein aktueller Entwurf "Manifest
für die Weltrevolution", der auf der Website von Workers Power
gepostet ist, liefert einen Hinweis darauf, wie diese Zentristen ihre
Teilnahme als stille Junior-Partner in einem
bürgerlich-pazifistischen Block mit ihrer vorgetäuschten
Durchführung von revolutionärem Defätismus
versöhnen:
"Wir schaffen dies durch das
Aufbauen einer riesigen
Anti-Kriegs-Bewegung, basierend auf Massenorganisationen der
Arbeiterklasse gemeinsam demonstrierend mit jungen Leuten, Frauen, der
progressiven Mittelklasse und den Gemeinden der Immigranten."
"Diese Bewegung wird
wahrscheinlich viele Leute mit
einschließen, deren Antrieb Religion und Pazifismus ist.
Während wir an ihrer Seite gegen die Kriege der Bosse marschieren,
sind wir nicht selber Pazifisten. Wir verbreiten nicht die Illusion,
dass Krieg unterm Kapitalismus verboten werden kann ...."
Dies ist unmittelbar erkennbar als die angegraute
Etappentheorie. Während der ersten Etappe nimmt die LRKI
begeistert an dem Aufbau einer 'riesigen' Bewegung auf
bürgerlich-pazifistischen Basis teil. Die anti-imperialistischen
Positionen, die die LRKI scheinbar vertritt, sollen erst in
unbestimmter Zukunft mit der Ankunft einer glorreichen zweiten Etappe
die Grundlage zur Sammlung der Massen werden. Zweifellos bietet die SWP
jugendlichen Unterstützern, die ihre revolutionäre Rhetorik
ernst nehmen, eine ähnliche Erklärung an.
Spartacist League: Nach Zick kommt Zack
Die Spartacist League/US (SL) und die ihr angeschlossenen Gruppen in
der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL) [hierzulande Spartakist
Arbeiterpartei Deutschland (SpAD)] beziehen eine Position des
revolutionären Defätismus gegen jeden imperialistischen
Angriff auf den Irak. Dies bedeutet eine dramatische Umkehrung ihrer
Behauptung während der US-Attacke auf Afghanistan in 2001, dass
eine defätistische Position gegenüber den imperialistischen
Aggressoren "illusionär, reinste heiße Luft und
'revolutionäres' Phrasengedresche" sei (Workers Vanguard [WV], 09.
11. 2001). Das schlägt Lenins Linie ins Gesicht, der schrieb:
"Die revolutionäre Klasse
kann in einem
reaktionären Krieg nicht umhin, die Niederlage ihrer eigenen
Regierung zu wünschen. Das ist ein Axiom. Und nur von
überzeugten
Anhängern oder hilflosen Lakaien der Sozialchauvinisten wird
dieses Axiom bestritten."
(Lenin: Über die Niederlage der eigenen
Regierung im imperialistischen Krieg; LW Bd. 21)
Damals rechtfertigte die SL ihren Laufpass für
den Defätismus damit, dass "die Taliban keine militärische
Vergeltungsmöglichkeit haben" (WV, 09. 11. 2001), und heutzutage
stellt sie fest, dass "der neokoloniale Irak nicht in der Lage ist, die
Oberhand über die US-Kriegsmaschine zu gewinnen" (WV, 18. 10.
2002). Also warum zwei unterschiedliche Linien beziehen? Anscheinend
glaubt die Führung der SL, dass die Hysterie über die
Zerstörung des World Trade Centers genug nachgelassen hat, so dass
es ihr sicher genug erscheint, wieder mit Lenins Position zu
neokolonialen Kriegen identifiziert zu werden. Dies ist nicht das erste
Mal, dass die SL in kritischen Momenten einen Rückzieher gemacht
hat (siehe Where
is the ICL going?, 1917 Nr. 24 oder auch: Spartacist League: Manchmal ist weniger drin
als man glaubt,
BOLSCHEWIK Nr. 17, www.bolshevik.org/deutsch/17/ bol17-2.html). Und
es
sieht auch nicht so aus, als wäre es das letzte Mal. Zu dem
gelegentlichen Gejammer der SL darüber, als Feiglinge angesehen zu
werden (siehe WV, 25. 01. 2002) ist alles was wir sagen können:
Wem der Schuh passt, der muss ihn tragen.
"Kein Mittelweg"
Der Angriff auf den Irak ist, wie oben beschrieben, ein Glied in der
Kette von Raubkriegen um die Wiederaufteilung der Welt unter den
imperialistischen Mächten. Krieg geht mit Kapitalismus einher und
wird weiter existieren, bis das kapitalistische Weltsystem durch
soziale Revolution umgestürzt oder die menschliche Zivilisation
zerstört ist. Es ist unmöglich, sich gegen brutale
neokoloniale Eroberungskriege zu stellen, ohne den Charakter des
sozialen Systems anzugreifen, der sie verursacht. Der Imperialismus
kann geschlagen werden - aber nur durch soziale Revolution. Wie Lenin
betonte:
"Anstatt es den heuchlerischen
Schönrednern zu
überlassen, das Volk mit Phrasen und Versprechungen über die
Möglichkeit eines demokratischen Friedens zu betrügen,
müssen die Sozialisten die Massen darüber aufklären,
daß ohne eine Reihe von Revolutionen und ohne revolutionären
Kampf in jedem Lande gegen die eigene Regierung auch nur ein halbwegs
demokratischer Frieden eine Unmöglichkeit ist."
"Einen Mittelweg gibt es hier nicht. Und den
größten Schaden, der sich denken läßt, fügen
dem Proletariat die heuchlerischen (oder bornierten) Erfinder einer
Politik der 'mittleren Linie' zu."
(Lenin: Die Frage des Friedens; LW
Bd. 21)
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