Internationale Bolschewistische Tendenz (IBT) — Vom nationalen Volkskrieg zum internationalen Klassenkampf: Permanente Revolution und Palästina. In: Bolschewik 10 (2001) Nr. 16, S. 1-13. — Version: 2023-04-10. — Geladen: 2024-04-18
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Vom nationalen Volkskrieg zum internationalen Klassenkampf:

Permanente Revolution und Palästina

Der Besuch des rechtsgerichteten Likud-Politikers Ariel Sharon - des Verantwortlichen für die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Qibya (1953) und Sabrah und Schatila (1982) und für die Vertreibung von 160.000 Bewohnern Ost-Jerusalems nach dem Sechs-Tage-Krieg - vor der Al-Aqsa-Moschee war eine kalkulierte Provokation. Der damalige Premier und Vorsitzende der rein bürgerlichen, zionistischen Arbeiterpartei Ehud Barak gab dieser Provokation volle Rückendeckung: Er setzte dreitausend Sicherheitskräfte ein, um Scharon zu schützen und die erwarteten Proteste in der vorwiegend moslemischen Altstadt Jerusalems niederzuschlagen. Indem er den Schlächter Scharon schützte, wurde Barak zum Schlächter der neuen Intifada.

Scharons Spiel mit dem Feuer löste einen Flächenbrand der Wut und Empörung in den besetzten Gebieten aus, die sehr schnell der Kontrolle durch die Autonomiebehörden entglitten. Tag für Tag greifen seitdem, mit dem Mut der Verzweiflung, palästinensische Jugendliche mit Steinen die übermächtigen israelischen Besatzer an, die darauf mit Geschossen, Granaten und Raketen reagieren. Für Attentate in Israel wird die gesamte Bevölkerung der Autonomiegebiete mit Absperrungen und Angriffen durch Sonderkommandos kollektiv bestraft. Der Konflikt eskaliert; die palästinensische Seite erreicht jedoch mit dem Einsatz von Gewehren und Mörsern sowie sektiererischen Anschlägen auf jüdische Zivilisten das Ende ihrer militärischen Fahnenstange. Israel dagegen "hat noch nicht einmal ein Hundertstel seines Gewaltpotentials ausgespielt" (Moshe Zuckermann, Leiter des Instituts für deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv; zitiert aus konkret; 3/2001; S.19). Zu keinem Zeitpunkt ist in diesem ungleichen Kampf die Existenz Israels gefährdet - was sowohl die antideutschen Hirngespinste ("augenblicklich Israel in seiner Existenz bedroht"; konkret; 3/2001; S.19) als auch die utopischen Wunschträume palästinensischer Nationalisten und ihrer Anhänger in der westlichen Soliszene vom Sieg im Volkskrieg Lügen straft.

Das Ergebnis dieses ungleichen Kampfes sind bis Anfang April 2001 ca. 60 jüdische Tote und über 400 getötete Palästinenser - davon zur Hälfte Kinder. Ein Viertel wurde in Wohngebieten, also nicht direkt vor Armee- oder Grenzposten außerhalb von Ortschaften getötet. Hinzu kommen ca.12.000 Verletzte, die noch voll und ganz auf das Konto Baraks gehen. Von den palästinensischen Opfern des Jahres 2000 waren 92% von ummantelten Geschossen getroffen worden, davon 98% in den Oberkörper und davon wiederum die Hälfte in Kopf und Hals. Barak und die von der "Arbeiter"-Partei geführte Regierung haben die neue Intifada schon massakriert, bevor Scharon mit Unterstützung der, nun von Peres geführten, "Arbeiter"-partei die Regierungsgeschäfte übernahm. Die Politik, die der einstige Premier und Friedensnobelpreisträger Yitzhak Rabin gegen die erste Intifada vor dem sogenannten Friedensprozeß angeordnet hatte, wird uneingeschränkt fortgesetzt:

"Unser Ziel ist es, die Anzahl [der Verletzten] unter denen, die an gewalttätigen Ereignissen teilnehmen zu erhöhen … Wer immer daran teilnimmt, sollte wissen, daß ich nicht besorgt bin über die zunehmende Zahl der Begleitschäden" (Toronto Globe and Mail, 28. September 1988).

Die gleiche rassistische Politik wurde gegen die israelischen Palästinenser angewandt. Die erneute Intifada traf - stärker als die erste Intifada in den 80erJahren - auf Widerhall unter den israelischen Palästinensern. Ihre marginalen Aussichten aus den 80er Jahren auf eine bescheidene Verbesserung ihrer sozialen Situation und eine bessere Integration in die israelische Gesellschaft waren durch die neoliberale Politik der 90er Jahre vollends zerstört worden. Spontan drückten sie ihre Wut in Solidaritätskundgebungen mit den protestierenden Palästinensern in den besetzten Gebieten aus. Obwohl sie mehrheitlich friedlich demonstrierten und eine Minderheit höchstens steinewerfend gegen die zionistischen Unterdrückungsorgane vorging, erschoß die Polizei mindestens 12 israelische Palästinenser. Ein Vorgehen, daß von den arabischen Staatsbürgern zurecht als Akt rassistischer Diskriminierung angeprangert wurde, aber auf zionistischer Seite ohne Folgen für die Täter blieb.

Die Entfremdung und Empörung der israelischen Araber gegenüber dem Staat Israel nimmt so nur weiter zu. Das erste Mal seit langem verweigerte die Mehrheit der arabischen Israelis bei den letzten Wahlen der rein bürgerlichen Arbeiterpartei bewußt die Gefolgschaft und boykottierte die Wahlen - geeint in dem neuen Konsens, daß es zwischen Barak und Scharon keinen Unterschied gibt. Sie tat dies gegen die Stimmen der palästinensischen Autonomiebehörden und Hawatmehs von der linksnationalistischen Demokratischen Volksbefreiungsfront Palästinas (DFLP), die zur Wahl des kleineren Übels rieten.

Die Autonomiebehörden und alle Kräfte des palästinensischen Widerstands, die an deren Futtertrögen von Korruption, Vetternwirtschaft und Begünstigung sitzen, hängen an der Arbeiterpartei, weil die ganze Autonomiebehörde und die neue palästinensische Bourgeoisie von Israel völlig finanziell abhängig sind. Arafats palästinensische Autoritäten werden von israelischen Konten finanziert, nur so kann Arafat als größter Arbeit-"geber" in den besetzten Gebieten mit 80.000 Angestellten Hunderttausende Palästinenser in direkter materieller Abhängigkeit halten und zu gedungenen Fürsprechern und Bütteln seiner Politik und Stützen seiner Autorität unter den Massen machen. Mit Barak setzten diese Kräfte auf die Erhaltung dieses Status quo, denn mit Scharon steuer(te)n sie auf eine, zumindest vorübergehend, ungewisse Zukunft zu. Anders als die Finanziers der EU und Japan verlangt Israel für seine Gelder keinen detaillierten Verwendungsnachweis; der einzige geforderte Verwendungsnachweis ist Ruhe und Ordnung. Scharon serviert den aus israelischer Sicht gescheiterten palästinensischen Autoritäten nun die Rechnung für ihr Versagen, die aufständischen Massen zu kontrollieren:

Der israelische Außenminister Schimon Peres erklärte am 29. März, die jüngsten Angriffe auf palästinensische Regierungsgebäude seien eine Warnung an Arafat, die Extremisten in die Schranken zu weisen. Arafat sei wahrscheinlich für die vorangegangenen Anschläge nicht verantwortlich, aber Israel hätte ihm schließlich die Namen der Schuldigen mitgeteilt.

Diese Angriffe müssen allerdings nicht das politische Ende Arafats und seiner Liaison mit Tel Aviv sein. Als im September 1997, nach der Eröffnung eines Tunnels in Jerusalems Altstadt durch Netanjahu, Straßenkämpfe in den besetzten Gebieten ausbrachen und palästinensische Polizisten und israelische Soldaten aufeinander schossen, rief die palästinensische Autonomiebehörde auf dem Höhepunkt der Kämpfe bei Arye Zaif, dem Chef des israelischen Zolls, an. Er war für die Geldtransfers auf die Konten Arafats bei der Bank Leumi in Tel Aviv zuständig und wurde gebeten, die nächste Überweisung um zwei Tage vorzuziehen - was Zaif tat. Während es auf den Straßen viele Tote gab, wußten die palästinensischen Autoritäten, daß sie unmittelbar von Israel abhängen und durch Kämpfe nichts gewinnen können, sondern nur durch ihre Fähigkeit, diese zu kontrollieren.

Die neue Intifada geht allerdings tiefer und macht es Arafat unmöglich, sie schnell abzuwürgen. Um wieder Verhandlungspartner und informeller Statthalter Israels werden zu können, muß er jetzt die Welle des Aufstands und der Attentate reiten, damit er durch seine politischen Arme und Hände, seine Tunis-Clique und die lokalen Führer der Tansim, die Autorität unter den Massen wieder erringen kann. Die Chancen dafür stehen mangels einer revolutionären Alternative nicht schlecht, zumal die vorrangigen Sprecher und Führer des Aufstands nicht die desorientierten palästinensischen Linken und auch nicht die perspektivlosen Hamas sind, sondern jene Gefolgsleute Arafats, die noch vor kurzem Frieden und Mäßigung predigten. Ungewiß ist allerdings, ob Israel noch will, nachdem der Pulverdampf sich verzogen hat.

Israel wirft Arafat vor, der neue Aufstand sei nicht spontan, sondern von langer Hand vorbereitet gewesen. Äußerungen des Kommunikationsministers der Autonomie-Behörden am ersten Märzwochenende schienen diese Sicht zu bestätigen, wurden aber umgehend dementiert. Wie auch immer die Dinge im Detail liegen mögen, Tatsache ist, daß Scharons Besuch vor der Al-Aqsa-Moschee nur ein Funke in einem bereits gefüllten Pulverfaß war: randvoll gefüllt mit Wut und Enttäuschung der Palästinenser in den besetzten Gebieten über die Ergebnisse des sog. Oslo-Friedensprozesses.

Der Oslo-Friedensprozeß:
Pax Americana für den Nahen Osten

Der Hintergrund des Friedensprozesses ist das Bestreben der USA, nach dem konterrevolutionären Sturz der Sowjetunion und dem Golf-Krieg gegen Saddam Hussein eine Neue Weltordnung zu etablieren und Konfliktherde zu bereinigen, die mit dem Ende des Kalten Krieges an Stellenwert und Funktionalität für die imperialistische Herrschaft verloren haben. Soll die Neue Weltordnung nicht überall unmittelbar auf den Bajonetten imperialistischer Söldner ruhen, sind die USA dabei darauf angewiesen, daß die betreffenden Staaten, wenn auch unter Druck so doch eigenständig, mitspielen. Israel bewies bei den Friedensverhandlungen, daß es durchaus nicht einfach nur Befehlsempfänger Washingtons ist, nicht nur ein willenloser imperialistischer Wachhund sondern ein Verbündeter und Wächter mit eigenen Interessen. Israel willigte nur deshalb in den Friedensprozeß ein, weil die PLO extrem geschwächt und daher ausgesprochen entgegenkommend war. Sie hatte im Golf-Krieg mit verbal-radikaler anti-imperialistischer Rhetorik die Seite Saddam Husseins bezogen und mit ansehen müssen, wie dieser mit Pauken und Trompeten unterging und trotz seiner vollmundigen, reaktionären Drohungen gegen die Bevölkerung Israels an deren militärischer Verteidigung durch die israelische Luftabwehr kläglich scheiterte. Nach der militärischen und ökonomischen Ohnmacht der palästinensischen Nationalbewegung war damit unwiderlegbar sowohl die Ohnmacht (Irak) als auch die Komplizenschaft (der an der Golfkriegs-Allianz mit den USA beteiligten Mehrheit) der arabischen Bourgeoisie, und damit insgesamt deren Uneinigkeit, bewiesen.

Von allen bürgerlichen Mächten und sowjetischer Unterstützung verlassen, war die PLO nur noch ein Schatten ihrer selbst. Wie Peres klarstellte, trat Israel in Verhandlungen mit der PLO als diese schwach und man selbst stark war. Die Ergebnisse der Verhandlungen entsprachen den Machtverhältnissen. Die Besatzung wurde anerkannt; nur ein geringer Teil der besetzten Gebiete steht unter alleiniger Verwaltung der machtlosen und demilitarisierten Autonomie-Behörde; ein zweiter Teil steht unter gemeinsamer Verwaltung, d.h. der PNA untersteht die zivile Verwaltung, Israel die Sicherheitspolitik. Der größte Teil, 60 Prozent, der Westbank bleibt unter alleiniger israelischer Verwaltung (s. Karte). Die Hälfte der Westbank bleibt israelisches Staatsland, daß nur Juden zur Verfügung stehen soll. Israel behält die volle Kontrolle über die Wasserquellen und nutzt 80% des Wassers für eine Minderheit von Siedlerfamilien, die ihr Land kapitalintensiv bewirtschaften und bewässern und sich im Swimming Pool erholen, während den zwei Millionen Palästinensern zuviel Wasser zum Verdursten aber zuwenig zum Aufbau einer lebensfähigen (Land-)Wirtschaft bleibt. 95 Prozent des fruchtbaren Bodens bedürfen der Bewässerung; den palästinensischen Bauern ist jedoch meist eine künstliche Bewässerung verboten. Jahrelang wurde die Besatzung benutzt, um den Aufbau konkurrenzfähiger Unternehmen zu unterbinden. Unter dem "Friedens"-vertrag unterliegt die Wirtschaft in den Autonomiegebieten weiterhin strikten Einschränkungen: Der Export landwirtschaftlicher Waren - der einzigen Produkte, zu deren Export die dortige Wirtschaft aktuell fähig wäre - ist vertraglich stark begrenzt. Israel behält auch heute noch die volle Kontrolle über zentrale Aspekte des Wirtschaftslebens wie Zölle, Export, Import, Transportwege, Energie und Wasser - eine Kontrolle die es jederzeit zum Schaden der palästinensischen Wirtschaft ausüben und mit der es diese völlig zum Erliegen bringen kann. Dies und die Instabilität halten Investoren fern.

Das Einzige, was der Oslo-Prozeß geschaffen hat, ist eine schmale, völlig von Israel abhängige und korrupte Schicht Neu-Reicher, die mit ihren aus Südostasien importierten billigen Hausangestellten protzt, während die Hälfte der Palästinenser unter der Armutsgrenze lebt und die Arbeitslosigkeit vor der Intifada in Gaza über 60 und in der Westbank über 30 Prozent betrug. Die Zahl der Arbeitserlaubnisse für Palästinenser aus den besetzten Gebieten wurde während des Friedensprozesses ständig verringert. Die Nachfrage seitens der israelischen Wirtschaft wurde zunehmend durch billige Wanderarbeiter aus Osteuropa, den arabischen Nachbarländern, Afrika und Asien ersetzt, um den Widerspruch zwischen zionistischen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen zu entspannen und die Aussperrung der Palästinenser in einen Dauerzustand verwandeln zu können.

Gleichzeitig führt die Autonomiebehörde eine Politik der Repression gegen die innerpalästinensische Opposition durch: Verhaftungen bei Nacht und Nebel, Folter und sog. Staatliche Sicherheitsgerichte, die selbst mit bürgerlich-demokratischen Rechtsstandards nichts gemein haben und direkte Instrumente Arafats sind. Wer sich durch das von Israel finanzierte Zuckerbrot der Autonomiebehörden nicht kaufen läßt, bekommt die Peitsche von Arafats Sicherheitsapparat zu spüren. Für die Sicherheitsgerichte erntete Arafat größtes Lob von Al Gore und den israelischen "Tauben". "Ich muß in diesem Kontext an die zynischen Worte Rabins erinnern, die Palästinenser kämen auf ihre Weise viel besser mit ihrer Opposition zurecht, und zwar ohne 'Betselem' [Menschenrechtsorganisation, Anm. Bolschewik] und dem israelischen Obersten Gerichtshof" (Felicia Langer: Laßt uns wie Meschen leben! Schein und Wirklichkeit in Palästina; S. 112. F. Langer ist eine für die Rechte der Palästinenser engagierte jüdisch-israelische Anwältin und bekannte Menschenrechtlerin).

Arafat unterwarf sich Israel und wurde dafür zum Gefängni saufseher befördert. Israel versucht damit, auf einem eng umgrenzten Gebiet (maximal 42 % des Westjordanlandes und Teilen des kleinen Gaza-Streifens) das bekannte Prinzip des britischen Empire anzuwenden: "Wir regieren nicht die Ägypter, wir regieren die Regenten Ägyptens". Auch wenn der Staat Israel seitens der palästinensischen Verhandlungsdelegation anerkannt wurde, kam es daher - nur - zur Anerkennung der PLO, d.h. einer bestimmten reaktionären Führung, als Alleinvertreterin der Palästinenser. Ein palästinensischer Staat stand nicht auf dem Programm, stattdessen eine Autonomiebehörde unter der Führung Arafats, als dem von Israel regierten Regenten der Palästinenser.

Mit der Anerkennung des Staates Israel hatte die palästinensische Verhandlungsdelegation faktisch den Landraub von 1948 anerkannt und auf das Rückkehrrecht für Millionen Flüchtlinge verzichtet - auch wenn es formal ausgespart blieb und rhetorisch immer wieder beansprucht wird. Bei den Verhandlungen mit Barak im Herbst letzten Jahres war Arafat dann auch bereit, auf das Rückkehrrecht von Millionen Flüchtlingen zugunsten Ostjerusalems als Sitz seiner palästinensischen Autoritäten zu verzichten. In die Autonomiegebiete zurückgekehrt mußte er feststellen, daß dies einem politischen Selbstmord gleichgekommen wäre und machte daher einen Rückzieher. Zu eng ist das Rückkehrrecht mit der miserablen sozialen Lage von Millionen Palästinensern als Folge ihrer Vertreibung verbunden.

Die Folgen der Vertreibung und die Lasten der Besatzung ergänzt um die Unterdrückung durch die eigene Nationalbourgeoisie, das hat der Friedensprozeß den ausgebeuteten und armen palästinensischen Massen gebracht. Eine Explosion der aufgestauten Wut und Enttäuschung war nur eine Frage der Zeit.

Syrien und die palästinensische Linke

Von den linksnationalistischen Regimen, die dem bürgerlichen pan-arabischen Volkssozialismus anhingen, war seit den 70er Jahren ohnehin nur Syrien übrig geblieben. Mit der Rückendeckung der Sowjetunion spielte Syrien den Patron der PLO und nach deren Einstieg in den Oslo-Prozeß insbesondere den Sponsor der palästinensischen Linken und der islamistischen Kräfte von Hisbollah und Djihad.

Nach dem letzten arabischen Gipfeltreffen, bei dem die Unterstützung für die Palästinenser nicht über unbedeutende Floskeln hinausging, suchte Arafat eine erneute Annäherung an Syrien: Er schlug vor, eine Verhandlungslösung über die Rückgabe der Golan-Höhen an Israel mit einer "Friedens"-Lösung in den besetzten Gebieten zu verbinden. Es kann sein, daß Syrien darauf pro forma eingeht, aber dies wäre dann nur ein taktischer Winkelzug, der die nächste Wendung der Ereignisse von Krieg und Frieden, Konflikt und Verhandlung wahrscheinlich nicht überstehen würde. Als Arafat den Oslo-Friedensprozeß begann, tat er dies ohne Rücksicht auf Syrien und ohne auf eine Lösung der Golan-Frage zu warten. Er wollte sein kleines Reich von Israels Gnaden. Jetzt, wenn Israel es ihm wieder wegzunehmen droht, seine Büros und Trainingslager bombardiert und droht, u.a. durch den Einsatz von Bodentruppen, zu militärischen Verhältnissen der direkten Besatzung zurückzukehren, erinnert er sich der Partnerschaft mit Syrien.

Aber Syrien hat in den letzten Jahren deutlich bewiesen, daß es sein diplomatisches Schicksal nicht an das politische Schicksal der Palästinenser knüpfen will. In der Nacht zum Ostermontag zerstörten israelische Flieger einen syrischen Radarposten im libanesischen Bekaa-Teil, weil Syrien die im Südlibanon operierenden Hisbollah-Milizen nicht zur Zufriedenheit Israels kontrolliere. Syrien reagierte empört und wie immer, wenn man nichts tun kann oder will, mit Appellen an die UNO, blieb aber ansonsten zurückhaltend. Syrien zufolge sind die Angriffe der Hisbollah genau solange gerechtfertigt, bis es ein umfassendes Friedensabkommen zwischen Israel, Syrien und dem Libanon gebe. Mit den Nadelstichen der Hisbollah sucht Syrien also den Weg an den Verhandlungstisch und die Aufnahme in eine pax americana für den Nahen Osten. Die Palästinenserfrage wird nicht einmal mehr gestellt.

Diese Politik beruht nicht auf persönlichen Fehlern oder Charakterschwächen der syrischen Machthaber sondern hat tieferliegende Ursachen. Syrien war einer von sieben Staaten, dem wegen der "Unterstützung des Terrorismus" das US-Verdikt "Schurkenstaat" angehängt wurde. Dadurch wurde Syrien zu einem Pariah nicht nur der Weltgemeinschaft sondern auch des Weltmarktes: Für IWF/Weltbank, Banken und Investoren wurde Syrien "unberührbar". Mit dem Wegfall der UdSSR als Brötchen- und Waffengeber gerieten Wirtschaft und Militär in eine desolate Lage; die Ökonomie schrumpfte auf der Grundlage eines ohnehin überalterten Produktionsapparates; der Armee fehlen Ersatzteile für eine immer älter werdende Rüstung. Dadurch weder der Globalisierung noch der regionalen politisch-militärischen Konkurrenz gewachsen, beschritt Syrien den Weg der Anpassung durch Privatisierung, Deregulierung, offener Preisgabe seiner linksnationalistischen Staatsideologie und der Palästinenserfrage. Die "Versöhnung" mit Israel ist dabei nur Mittel zum Zweck der "Versöhnung" mit dem Imperialismus.

Seit Ende der 80er Jahre kollaborieren die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) von Na'if Hawatmeh und die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) von George Habash unter syrischer Führung mit den reaktionärsten Parteien des palästinensischen Kapitalismus, den Islamisten - seit 1993 als "Allianz der Palästinensischen Kräfte". Diese Allianz wird von Syrien finanziert und ihr kleinster gemeinsamer Nenner war die Opposition zu den Oslo-Verträgen. In den letzten Jahren kam es allerdings zu einer Annäherung zwischen Tel Aviv und Damaskus, was nicht ohne Einfluß auf die syrische Position in der Palästinenserfrage bleiben konnte und damit auch die syrisch finanzierten palästinensischen Gruppen einem Anpassungsdruck an "Oslo" aussetzte. Am 13. Juni 1999 traf sich dann der syrische Vizepräsident; Abed al-Halim Khaddam, mit einigen Führern der Allianz. Ihnen gab er deutlich zu verstehen, daß sie sich auf politische Aktionen konzentrieren, d.h. den bewaffneten Kampf einstellen sollen.

Dieser Anweisung folgte in Kairo unter den Fittichen Hosni Mubaraks, der seinerseits unter den Fittichen der USA steht, im August 1999 ein Treffen ohne Vorbedingungen zwischen den Spitzen von PFLP und DFLP und Arafat. Sie erklärten, es sei eine nationale Pflicht, die Einheit auf kleinstem Nenner zu suchen. Im Namen des revolutionären Realismus erklärte die palästinensische Linke, sie akzeptiere das Oslo-Abkommen als unumkehrbare "vollendete Tatsache". Die politische Strategie wurde darauf ausgerichtet, Arafat zu drängen, er solle gegenüber Israel auf die Einhaltung und Umsetzung der Abkommen von Oslo und Wye drängen. Diese politische Strategie ist unrealistisch und impotent. Arafat ist überhaupt nicht in der Position, Israel zu irgend etwas zu drängen. Der ganze Oslo-"Friedens"-Prozeß hatte allein den Sinn, die Palästinenserfrage im israelischen Hinterhof auf Kosten der Palästinenser zu lösen, v.a. indem man Tel Aviv, und darüber vermittelt Washington, nach dem Vorbild des britischen Kolonialismus einen palästinensischen Statthalter schaffen läßt, der völlig abhängig ist. Die Macht Arafats und der Apparat der palästinensischen Autoritäten sind von Israels Gnaden und Geldern.

Hawatmehs DFLP genauso wie Habashs PFLP versuchen ihre Unterordnung unter Arafat, ihre Anpassung an die diskreditierten palästinensischen Autoritäten dadurch zu verschleiern, daß sie die Wiederbelebung der PLO fordern, wohl wissend daß die PLO entweder Erfüllungsgehilfe der Palästinensischen Nationalen Autorität (PNA) oder bedeutungslos ist.

Die linke Opposition hatte sieben Jahre Zeit, sich auf den unvermeidlichen elementaren Ausbruch von Wut und Enttäuschung über den Kapitulations- und Verelendungsfrieden von Oslo vorzubereiten. Doch statt ein Programm zur Verteidigung demokratischer Freiheiten und des Lebensstandards der Arbeiter gegen das korrupte und repressive Arafat-Regime, für den Kampf um das Rückkehrrecht und gegen den fortgesetzten Raub von Land und Wasser zugunsten zionistischer Siedlungsprojekte in den besetzten Gebieten vorzubringen, setzen sie auf den Dialog mit Arafat und der PNA, damit diese völlig von Israel abhängigen Politiker "härter" mit Israel verhandeln. So helfen sie nur Arafat, die Kröten des Friedensprozesses den Hals der palästinensischen Massen hinunterzustoßen.

Nach wie vor haben die DFLP und PFLP, trotz sinkender Mitgliederzahlen, viele Anhänger unter den Palästinensern. Doch bedingt durch die angeborene Schwäche ihrer Volksfrontpolitik und Etappentheorie sowie dem Problem nach dem Ende der UdSSR etwas zu finden, was auch nur annähernd die Illusion eines dritten Weges zwischen Sozialismus und Barbarei erzeugen könnte, passen sich PFLP und DFLP an die imperialistische Neue Weltordnung an.

Sie kritisierten zwar in der Vergangenheit die arabischen Nationalbourgeoisien für ihr Versagen, eine nationaldemokratische Revolution zu fördern, so wie sie jetzt die Arafat-Clique für ihren opportunistischen Kurs kritisieren. Doch ihre Kritik ist rein moralistisch und bedeutet eben keinen Bruch mit der Bourgeoisie, sondern dieser mit dem erhobenen Zeigefinger hinterherzulaufen, weil sie nicht begreifen, daß die Nationalbourgeoisie nicht unwillig, sondern unfähig zur bürgerlich-demokratischen Revolution ist.

Die palästinensische Bourgeoisie könnte ihre Ausbeutungsmöglichkeiten und Profite durch eine nationale Befreiung vergrößern; dazu fehlt ihr aber die Kraft. Vor allem fürchtet sie die eigenständige Bewegung der arabischen Arbeiter, da diese ihre Ausbeutungsmöglichkeiten nicht vergrößern sondern beseitigen würde. Für jede (klein-)bürgerliche Führung des palästinensischen Widerstandes bleibt deshalb am Ende nur die Verhandlungslösung, d.h. die Unterordnung unter Israel.

Auch die stalinistischen Volksfronten von Habash (PFLP) und Hawatmeh (DFLP) sowie die islamistischen Hamas, Djihad und Hisbollah können keine andere Perspektive für den Sieg des palästinensischen Befreiungskampfes anbieten. Ihr Kampf geht bestenfalls nicht über Volksfrontpolitik mit radikaler Rhetorik und ohnmächtigen individuellen Terrorismus hinaus: Das sind trotz militantem Schein keine ernsthaften Kampfmittel sondern ein Klopfen an die Tür zum Verhandlungszimmer, ein Buhlen um Plätze an den Futtertrögen der Macht von Israels Gnaden.

Die Politik der beiden Volksfronten beweist, daß kleinbürgerliche Links-Nationalisten nicht nur unfähig zur sozialistischen Revolution sondern selbst zur nationalen Befreiung sind, weil sie letztlich der nationalen Bourgeoisie oder einem vermeintlich fortschrittlichen Flügel derselben folgen. Doch diese ist ihrerseits in all ihren Fraktionen aus Sorge um ihre Profite unfähig zur bürgerlich-demokratischen Revolution. Dies bestätigt indirekt, auf negative Weise, die Theorie der Permanenten Revolution, daß die national-demokratischen Aufgaben nur mit den Mitteln der proletarischen Revolution und unter der Diktatur des Proletariats gelöst werden können.

Der Kampf um die Befreiung von nationaler Unterdrückung und Diskriminierung kann deshalb nur siegen, wenn er den Interessen des proletarischen Klassenkampfes untergeordnet wird. Die von den Bolschewiki geführte Oktoberrevolution bewies 1917, daß eine proletarische Revolution, gestützt auf die Enteignung der Bourgeoisie, die Aufgaben der bürgerlichen Revolution (Landverteilung, nationale Befreiung und demokratische Aufgaben) im Interesse der arbeitenden Massen lösen kann.

Die Voraussetzung der nationalen Befreiung ist daher der völlige politische und organisatorische Bruch mit jeder Nationalbourgeoisie und der internationale Zusammenschluß der Arbeiter des Nahen und Mittleren Ostens.

Dies ist um so wichtiger, da die Schwäche der palästinensischen Nationalbourgeoisie nicht durch eine entsprechende ökonomische und militärische Stärke der arabischen Regime kompensiert werden kann und der Schlüssel für die Befreiung der Palästinenser daher in Israel liegt.

Die Antwort proletarischer Revolutionäre auf diese objektiven Bedingungen ist das Programm der Permanenten Revolution: Die nationale Bourgeoisie ist unfähig, selbst die Aufgaben der demokratischen Revolution oder der nationalen Befreiung zu lösen. Dies kann nur das Proletariat, indem es, gestützt auf die armen Bauernmassen, seine Herrschaft errichtet. Im Nahen Osten kann die Revolution nur siegen, können die an sich bankrotten bürgerlichen Regime nur erfolgreich gestürzt werden, wenn der Imperialismus aus der Region zurückgeschlagen wird. Dies wiederum ist nicht möglich ohne den Sturz der zionistischen Festung, die im Ernstfall zum Brückenkopf der imperialistischen Intervention würde. Diese allein von außen gegen die vereinigten Kräfte des Imperialismus und Zionismus zu zerschlagen, ist ein aussichtsloses Unterfangen. "Trotz schwerer Verluste weiter zu schreiten … wobei sich die Verluste bei Straßenkämpfen und Guerillakrieg auf der zionistischen Seite erhöhen werden" (Klassenkampf Nr. 76; Herbst 2000) - dieses Programm der Revolutionär Kommunistischen Liga / Internationalen Leninistischen Strömung, die bestrebt ist eine anti-imperialistische Front u.a. zusammen mit der Hisbollah aufzubauen, ist daher ein Programm für die Niederlage.

Die zentrale Aufgabe heute ist daher nicht "die Bildung einer neuen revolutionären palästinensisch-gesamtarabischen Avantgardorganisation" (ebd.), sondern der Aufbau einer integrierten hebräisch-palästinensischen-arabischen kommunistischen Partei auf dem internationalistischen Programm der Permanenten Revolution. Denn ein zukünftiges revolutionäres arabisches Proletariat wird das Bündnis mit den palästinensischen und jüdischen Arbeitern Israels suchen müssen, um siegen zu können. Statt diese mit sektiererischen Anschlägen auf Zivilisten in die Arme der Zionisten zu treiben, anerkennen kommunistische Internationalisten das nationale Selbstbestimmungsrecht der hebräischen Nation in Israel genauso wie das der Palästinenser.

Sie kämpfen daher für einen binationalen hebräisch-palästinensischen Arbeiterstaat in einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens.

Mythos Israel:
Hort der Zivilisation oder imperialistische Festung?

Damit wird das Existenzrecht Israels - eine Gretchenfrage der deutschen Linken - berührt. Pro-zionistische "Antideutsche" wie pro-arabische "Antiimps" zeichnen sich nicht nur in dieser Frage durch Vereinfachung und Einseitigkeit aus. Palästinensische Nationalisten und ihre westlichen Anhänger in der Soli-Bewegung sehen in Israel statt Ansatzpunkten einer möglichen Klassenspaltung im Wesentlichen nur eine einzige reaktionäre Masse. Für sie ist Israel eine imperialistische Festung, die nur von außen durch eine panarabische Revolution gestürmt werden kann und deren Arbeiterklasse mit dem Zionismus untrennbar verheiratet ist. Für die Antideutschen ist Israel dagegen der Hort der Zivilisation in einem Umfeld, das sich umstandslos dem islamistischen Wahnsinn unterordnet: "Von den leninistischen 'Volksfronten' PFLP und DFLP über die Fatah bis zu Hamas und Djihad folgen alle dem Ruf der Freitagsgebete: 'Tötet die Juden, wo immer ihr sie trefft!'" (konkret, 12/2000, S.12). Israel habe sich sogar bis vor kurzem "ein sozialistisches Element … die Kibbuzim-Bewegung" bewahrt: "wer in Israel das Offizierspatent erwarb, hatte in der Regel seine Kindheit in einem Kibbuzim-Kollektiv verbracht" (ebd.). Die anti-deutsche Position wünscht daher gar keine revolutionäre Klassenpolarisierung der israelischen Gesellschaft und ist froh, daß Israel durch die Zionisten "Gott sei dank … verteidigt wird" (ebd.).

Kibbuz / Histradut: Sozialismus oder Nationalismus?

Autoren, die wie Jürgen Elsässer die Kibbuzim als sozialistisches Element betrachten, beweisen damit ihre Unkenntnis der israelischen Wirklichkeit und ihr Unverständnis, was Sozialismus jenseits hohler Phrasen im wissenschaftlichen Sinne bedeutet.

Mal abgesehen davon, daß die Kibbuz-Betriebe untereinander und mit dem Rest des Wirtschaftslebens nicht planwirtschaftlich sondern über Marktbeziehungen verbunden sind und daher unabhängig von ihrer inneren Organisation kapitalistische Unternehmen sind: Die Gründung einer jüdischen Nation in Israel stand vor der Aufgabe, eine nationale kapitalistische Wirtschaft ohne gewachsene lokale Bourgeoisie aufzubauen. Die Histradut übernahm als zionistische Pseudogewerkschaft und größter Unternehmer die Aufgabe, die jüdische Arbeit zu organisieren und unter dem Motto "Arbeit nur für Juden" nationalistisch-rassistisch zu formieren. Die Kibbuzim übernahmen eine Pionierrolle in der jüdischen Landnahme und spielten sie auch später in den besetzten Gebieten. Ihre relative interne Gleichheit war keine sozialistische sondern die Egalität nationalistischer Pioniere, geboren aus den besonderen Bedingungen der jüdischen Nationenbildung in Palästina.

Die hebräische Nationalbourgeoisie in Israel kann sich auch heute nicht ohne Zionismus halten er ist die Bedingung ihrer Klassenexistenz. Auf die Kibbuzim wie die verstaatlichte Histradut-Wirtschaft dagegen kann sie verzichten: Sie haben ihre Pionierrolle schon lange erfüllt, stellten eine genossenschaftliche bzw. staatlich regulierte Fessel für das freie Wirken der "Kräfte des Marktes" sowie lukrative Anlagemöglichkeiten für privates Kapital dar. Ihre Privatisierung im Rahmen der weltweiten neoliberalen Entwicklungen, letztlich eine Folge des konterrevolutionären Untergangs der UdSSR, war die logische Konsequenz. Der sog. Friedensprozeß schuf den politischen Manövrierraum, indem er den Zwang, den nationalen Zusammenhalt aus Sicherheitsgründen aufrechtzuerhalten, zumindest vorübergehend abschwächte und dadurch die Empfindlichkeit der zionistischen Bourgeoisie gegenüber sozialen Protesten herabsetzte.

Die Anziehungskraft der zynischen und verrotteten, antideutschen Position auch auf ehrliche, junge Linke besteht in der unterstellten Logik, daß revolutionäre Linke in derart nicht-revolutionären Zeiten Israel als Repräsentanten der bürgerlichen Aufklärung und Zivilisation (trotz aller Mängel auch der rationalen, kapitalistischen Klassenherrschaft) gegen den religiösen Wahn islamistischer Fanatiker verteidigen müssen. Im Folgenden werden wir zunächst diesen Mythos einer vernichtenden Kritik unterziehen.

Zionismus kontra Demokratie

"Die weitverbreitete falsche Vorstellung, daß Israel, selbst wenn man von seinem Regime in den besetzten Gebieten absieht, eine echte Demokratie sei, beruht auf der Weigerung sich mit der Bedeutung des Begriffs 'Judenstaat' für Nicht-Juden auseinander zusetzen." (Israel Shahak: Jewish History, Jewish Religion; S. 2; alle Zitate von Shahak eigene Übersetzung)

Die Definition Israels als Staat der Juden macht Israels Araber zu Staatsbürgern 2. Klasse. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die staatlich geförderte Nationalkultur und Schulbildung; es gilt auch nicht nur im Sinne einer sozialen und wirtschaftlichen Unterprivilegierung - deutlich niedrigere Durchschnittslöhne, höhere Arbeitslosigkeit, schlechtere Wohnungen, Schulen und Infrastruktur in den arabischen Gemeinden Israels etc.. Es gilt vielmehr direkt im Bereich der rechtlichen Diskriminierung, d.h. der Rassismus ist politisch institutionalisiert.

Das gewöhnliche Mittel zur alltäglichen Diskriminierung ist der Personalausweis, den jeder jederzeit bei sich tragen muß und in dem die Nationalität des Inhabers aufgelistet wird. Als Nationalität kann jüdisch, arabisch oder drusisch eingetragen werden, aber auf keinen Fall israelisch. Das Innenministerium lehnt es ab, eine israelische Nationalität anzuerkennen - ganz nebenbei ein Unterschied zu dem titoistischen Vielvölkerstaat, der eine jugoslawische Identität nicht nur anerkannte sondern auch förderte.

Ein wesentliches Element politischer und rechtlicher Diskriminierung ist das Rückkehrrecht. Als Mittel der nationalistischen Privilegierung bzw. Ausgrenzung und Benachteiligung ist es für die Masse landloser und oft auch arbeitsloser palästinensischer Flüchtlinge, denen es systematisch verwehrt wird, eng mit ihrer sozialen Lage und dadurch mit ihrer Klassenexistenz verbunden.

Ariels Weißwäscher von der Zeitung konkret mokieren sich über das Rückkehrrecht vor allem der Millionen Flüchtlinge in der zweiten und dritten Generation:

"Die Vorstellung eines kollektiven Volksbesitzes, ohne die realen Besitzverhältnisse auch nur zu erwähnen, wird in der Regel abgeleitet aus einem durch Boden und andere mythisierte Naturphänomene gestifteten kollektiven und homogenen Volkscharakter. Dessen wahnhafte Emanation ist beispielsweise die Forderung nach einem Rückkehrrecht der bei der israelischen Staatsgründung 1948 Geflüchteten und Vertriebenen. Verließen damals nach unterschiedlichen Angaben zwischen 300.000 und 500.000 Menschen das Land, ist heute - wiederum nach unterschiedlichen Angaben - von 3 bis 5 Millionen Rückkehrwilligen die Rede. Die wundersame Verzehnfachung resultiert aus der biologischen Vermehrung der vor 53 Jahren Geflüchteten. Einen solchen genealogisch vererbbaren Flüchtlingsstatus kennt man sonst nur aus den Ansprüchen deutscher Schlesier, Sudeten etc." (konkret 3/2001, S. 18).

Oops: Den wahnhaften Extremfall eines über zig Dutzende von Generationen vererbten Rückkehrrechts kennt man ja wohl von den zionistischen Ansprüchen. Der imaginäre kollektive Volksbesitz heißt in diesem Fall "Heiliges bzw. Verheißenes Land" gegründet auf dem Mythos göttlicher Verheißung und dem genealogisch vererbbaren Flüchtlingsstatus "Diaspora". Millionen Juden in dieser Welt, die allein deshalb Juden sind, weil sie Nachfahren von Juden sind, genießen ein automatisches Rückkehrrecht - mit sofortiger Staatsbürgerschaft, Zehntausenden Dollar staatlicher Finanzhilfe und dem Recht auf Nutzung des Grund und Bodens, der 1948 bzw. 1967 den Palästinensern weggenommen wurde und nun exklusiv den Juden zur Nutzung zur Verfügung gestellt wird (90% Israels, fast zwei Drittel der Westbank).

Dieser ethnisch-religiöse Wahn ist Ausdruck der tragischen Ironie der Geschichte, daß die Opfer des Holocaust durch diesen zur Logik des Rassismus bekehrt wurden. Wenn die antideutschen Maulhelden ihre Politik nun aus einer besonderen moralischen Verpflichtung der deutschen Linken ableiten, dann sollten sie ihr schlechtes Gewissen jedoch bitte nicht auf Kosten der Millionen palästinensischer Flüchtlinge beruhigen, während sie selbst mit dem Arsch im Trockenen sitzen, platonisch auf Deutschlands Vernichtung hoffen und Bomber Harris anbeten. Den Palästinensern die sog. Bürde der deutschen Vergangenheit aufzuladen, ist in Wirklichkeit zynischer deutscher Nationalismus.

Neben dem Rückkehrrecht und der Rechtsungleichheit bei der juristischen Vergabe von Vergünstigungen findet eine rechtliche Benachteiligung vor allem auf den Gebieten Residenzrecht und Arbeitserlaubnis statt.

92 Prozent des israelischen Grund und Bodens dürfen nach staatlichen Bestimmungen in Übereinstimmung mit den Regeln des Jewish National Fund nur an Juden verpachtet werden; nur Juden dürfen darauf wohnen oder ein Geschäft eröffnen; häufig ist auch nur Juden erlaubt, darauf zu arbeiten. Wenn ein Jude sogenanntes "nationales Land" an einen Araber untervermietet, wird er schwer bestraft. Dies gilt selbst dann, wenn der Araber israelischer Staatsbürger ist, in der Armee gedient hat und dort sogar Offizier war.

Die antideutschen Freunde Israels mögen die Fragen beantworten, ob sie es nicht in jedem anderen Land als extremen Rassismus bezeichnen würden, wenn Staatsbürger aus ethnisch-religiösen Gründen derart diskriminiert würden und wie sich eine solche politische Praxis mit dem Etikett "demokratisch" verträgt. Die Verteidigung demokratischer Rechte und Gleichheit und der zionistische Staat Israel sind jedenfalls unvereinbar.

Die in Israel übliche Zensur versucht, den Mantel des Schweigens darüber zu decken, wenn der bürgerlich-demokratische Staat gemäß den Interessen der zionistischen Bourgeoisie die demokratischen Rechte mit Füßen tritt. So ergänzt Israel die anti-demokratischen Verstöße einfach um die Beschneidung der Pressefreiheit. Heuchelei ist bekanntlich der Preis, den die Sünde an die Tugend zahlt; die Zensur ist der Preis, den die Herrschenden an die demokratischen Ansprüche der jüdischen Massen zahlen - was indirekt beweist, daß der orthodox legitimierte Rassismus die Köpfe der israelischen Arbeiter nach Meinung ihrer "eigenen" Regierung nicht vollständig und unabänderlich im Griff hat.

Die ideologische und praktische Allianz von Orthodoxie und Zionismus soll vor allem diesen Preis herabsetzen, indem sie an die Stelle der verlogenen Leugnung die offene Rechtfertigung setzt.

Nationalismus, Rassenhaß und Völkermord

Das in konkret vom Dezember 2000 dokumentierte Freitagsgebet eines prominenten palästinensischen Geistlichen und Politikers, das im staatlichen Rundfunk übertragen wurde, ist eine rassistische Provokation und eine Drohung, die nur geeignet ist, jüdische Arbeiter in die Arme des Zionismus zu treiben, weil in diesem Freitagsgebet zur Vernichtung aller Juden aufgerufen wird: "Habt kein Mitleid mit den Juden … Wo immer ihr sie trefft, tötet sie", denn "kein Jude schreckt vor irgendeinem vorstellbaren Bösen zurück".

Die palästinensische Linke paktiert weiterhin mit den islamistischen Kräften Hamas, Hisbollah, Djihad für die die Vernichtung der Juden Programm ist. Die Tatsache, daß dieser Aufruf zum Völkermord nicht zu einer Welle von Protesten unter den Palästinensern und insbesondere seitens der palästinensischen Linken geführt hat, zeigt, wie weit verbreitet antisemitische Vorurteile sind und daß in jedem Nationalismus das Potential zum Völkermord steckt. Nur gilt dies eben auch für den Zionismus und seinen anti-arabischen Rassismus.

Zionismus, Bourgeoisie und Orthodoxie …

Oberrabbiner Ovadia Jossef predigte zum Passah-Fest in einer Jerusalemer Synagoge die "Vernichtung der Araber": "Mit den Arabern darf man kein Mitleid haben … Man muß mit Superraketen auf sie einschießen und sie vernichten" (Berliner Zeitung, 10. 04. 2001). "Mit 'Freude und Lust' seien … 'die Araber, alles Bösewichte und Mörder', zu töten" (Die Welt, 10. 04. 2001). Jossef ist das geistige Oberhaupt der Schas-Partei, die allein sechs Minister in Scharons Kabinett stellt, darunter die sensiblen Geschäftsbereiche Inneres, Arbeit und Soziales, religiöse Angelegenheiten und Jerusalem-Angelegenheiten.

Zu Recht stellt die Berliner Zeitung fest:

"Man könnte das als seniles Geschwätz abtun, aber der spirituelle Führer der ultra-orthodoxen Schas-Partei ist einer der einflußreichsten Männer Israels. Zu seinen Anhängern zählen rund 20 Prozent der Bevölkerung, seine Partei ist mit 17 [von insgesamt 120; Anm. BOLSCHEWIK] Abgeordneten im Parlament vertreten. Und der Beschuß mit Raketen ist für die Palästinenser mittlerweile Realität" (BZ, 10 .04. 2001).

Die Behauptung, Israel repräsentiere gegen den religiösen Fundamentalismus in den arabischen Ländern ein sakulär-zivilisiertes Bollwerk der Aufklärung, ist unhaltbar. Der Zionismus ist der Form nach ein säkularer Nationalismus, dem Inhalt nach ist er untrennbar von dem Motiv der Erlösung des Heiligen Landes. Das chauvinistisch-expansive Ziel Eretz Israel ist nicht einfach irgendein Groß-Israel, sondern Israel in den biblischen Grenzen.

Der Zionismus ist die Nationalideologie, die die jüdische Nation in Israel geschaffen hat, und die unverzichtbare Staatsideologie und -räson Israels. Israel wiederum ist ein Staat mit explizit und exklusiv jüdischem Charakter; er ist nicht der Staat der Juden und der im Lande lebenden Minderheiten, sondern ein exklusiver Judenstaat. In Folge der Massenproteste gegen den Libanonkrieg bestand zum ersten Male in der Geschichte Israels die Gefahr, daß eine Partei zu den Wahlen antreten würde, die den ausgrenzenden jüdischen Charakter Israels in Frage stellen würde. Daraufhin verabschiedete die Knesset 1985 mit großer Mehrheit ein Gesetz von Verfassungsrang, das es Parteien verbietet, an den Parlamentswahlen teilzunehmen, die offen das Prinzip des "jüdischen Staates" in Frage stellt oder vorschlägt, es mit demokratischen Mitteln zu ändern. Der Staat Israel ist damit als exklusiver jüdischer Nationalstaat festgeschrieben, was die Palästinenser und andere Minderheiten zu Bürgern 2. Klasse macht.

Das israelische Gesetz definiert als Juden, wer von einer Mutter jüdischen Glaubensbekenntnisses abstammt und nicht zu einer anderen Religion übergetreten ist oder wer rituell angemessen zum jüdischen Glauben übergetreten ist.

Zusammengefaßt: "Wir [Juden; Anm. BOLSCHEWIK] erkennen uns als Nation am Glauben", wie schon Theodor Herzl in sein Tagebuch schrieb.

Von den drei internationalen Strömungen im Judentum - orthodoxe, konservative, reformorientierte - wird allein die reaktionärste, orthodoxe vom zionistischen Staat Israel anerkannt und nur von ihr vollzogene Handlungen gelten vor dem Gesetz.

In der jüdischen Armee, der Zahal, sind orthodoxe Militärgeistliche im Offiziersrang mit Unterstützung der Regierung tätig; diese predigen seit 1973 mit öffentlicher Unterstützung des Staates, daß in Kriegszeiten (und in den besetzten Gebieten ist Israel ja im Dauerkrieg) alle Nichtjuden, d.h. auch alle Zivilisten, der gegnerischen Seite getötet werden können oder sogar sollen. In diesem Jahr gab das Kommando der Zentralregion der israelischen Armee, zu dessen Bereich die Westbank gehört, ein Buch des Oberrabbiners beim Kommando, Colonel Rabbi Avidan, heraus: "Unter keinen Umständen darf einem Araber getraut werden, selbst wenn er zivilisiert zu sein scheint… unseren Kräften wird durch die Halakhah [das jüdische Gesetz, Anm. BOLSCHEWIK] erlaubt oder sogar befohlen selbst gute Zivilisten zu töten" (Shahak, S. 76).

… und Israels Politik

Natürlich widerspricht eine solche Ansicht formal dem Militärrecht. Doch trägt diese jüdische Scharia und ihre Verbreitung in weiten Teilen der Bevölkerung und vor allem der hohen Ränge des zionistischen Staates dazu bei, daß rechtlich Verbotenes faktisch straffrei bleibt:

"Fakt ist, daß in allen Fällen in denen Juden in einem militärischen oder paramilitärischen Kontext arabische Nicht-Kombattanten ermordet haben - einschließlich Fällen von Massenmord wie in Kafr Qasim 1956 - die Mörder wenn nicht freigesprochen, so doch nur extrem leicht bestraft wurden und Strafnachlässe erhielten, die ihre Strafe auf so gut wie nichts reduzierten." (Shahak, S. 79). Erst jüngst wies die Menschenrechtsorganisation Betselem auf mindestens sechs aktuelle Fälle hin, bei denen jüdische Siedler unter Duldung der Polizei Palästinenser ermordeten.

Der prominenteste Fall dieser Politik ist sicherlich Ariel Scharon. Er wurde von der israelischen Kahan- Untersuchungskommission als Verantwortlicher der Massaker an Palästinensern in den südlibanesischen Flüchtlingslagern von Sabrah und Shatila benannt. Diese Massaker im September 1982 hatten die ohnehin einsetzende Polarisierung der Gesellschaft über den Libanon-Krieg verschärft und zu Anti-Kriegsdemonstrationen mit 400.000 Teilnehmern geführt. Wenn die daraus entstandene Friedensbewegung auch keinen völligen Bruch mit dem Zionismus bedeutete und aktuell politisch tot ist, beweist dies dennoch, daß die aggressive orthodox-zionistische Ideologie nicht uneingeschränkt unter Israels Juden herrscht. Schließlich nahm die Zahl der Verweigerer zu; das bislang tadellose Ansehen der Armee sank; die Zustimmung zur Libanon-Politik sank auf 25% und nahm erst nach dem Rückzug der Zahal wieder auf 52% zu.

In dieser Situation mußte Verteidigungsminister Ariel Scharon seinen Hut nehmen. In seiner Partei, dem Likud, blieb er jedoch ein führenden Politiker, blieb Minister ohne Geschäftsbereich, bekleidete später wieder geschäftsführende Ministerposten (Infrastruktur; Außenministerium) und ist heute Premierminister. Dies zeigt andererseits, wie stark in den politischen Führungskreisen die reaktionäre rassistische Ideologie, wonach ein Massaker an Gojim, an Nichtjuden, ein Kavaliersdelikt oder sogar eine religiöse Pflicht ist, verbreitet ist und wie stark sie in der Bevölkerung verbreitet wird.

Dies äußert sich auch darin, daß Israel einer von ganz wenigen Staaten dieser Welt ist, in dem Folter nicht nur wie in vielen anderen Ländern praktiziert wird, sondern auch bis vor kurzem unangefochten offiziell von allen Regierungen explizit legalisiert wurde. Die grausamen Haftbedingungen gehen einher mit der Ermächtigung der Sicherheitskräfte, Palästinenser ohne ordentliche Anklage und ohne jedes Verfahren zu inhaftieren. Während des Oslo-Friedensprozesses wurde die Höchstdauer dieser sog. Administrativhaft von sechs auf zwölf Monate heraufgesetzt.

Dieses politische Milieu und Klima der zionistischen Herrschaft hat sich weder in Folge des Friedensprozesses noch des ultra-rechten Attentats auf Premier Rabin geändert - egal ob Arbeiterpartei oder Likud die Regierung stellten. Der vom Zionismus untrennbare anti-arabische Rassismus ist auch die Grundlage für die Art und Weise der Reaktion der israelischen Sicherheitskräfte auf die Intifada.

Die dargestellte Allianz von Orthodoxie und Zionismus bedeutet nun nicht, daß alle Zionisten streng-religiös sind, alle Riten, den Sabbat und die Speiseregelungen beachten. Es ist an sich nichts Ungewöhnliches, daß ursprünglich religiöse Traditionen und Werte als einflußreiche Elemente oder Versatzstücke durchaus befolgt werden, ohne daß die Person auf einer spirituellen Ebene allzu religiös ist: Eine moderne Türkin kann am Ramadan fasten ohne tief gläubig zu sein und Kopftuch zu tragen; Millionen Westeuropäer feiern Ostern und Weihnachten, obwohl sie nur lose Beziehungen zu Kirche und Katechismus haben. In Deutschland werden christliche Grundwerte und -normen indoktriniert, ohne daß man eine Kirche von innen sehen muß - nämlich im säkularen Rahmen schulischer (und familiärer) Erziehung sowie in öffentlichen politischen und "philosophischen" Diskursen über Abtreibung, Rüstung, Erziehung, "Gewaltphänomene", "Rechtsextremismus" oder Sozialhilfe.

In Israel bedeutet die Allianz von Orthodoxie und Zionismus, daß namentlich in zwei thematischen Bereichen - dem Staatsgebiet (Eretz Israel) und dem exklusiv-jüdischen Charakter des Bodens im heiligen Land sowie dem Umgang mit Arabern - die orthodoxen Vorstellungen die zionistische Politik dominant prägen. Umgekehrt transportiert und tradiert die zionistische Politik und Propaganda orthodoxe Ideen, die sie in einen ansonsten durchaus weltlichen Rahmen versetzt und integriert. Politiker wie Ariel Scharon, die sich zwar unkoscher ernähren aber dem religiös-orthodoxen Leitbild von Eretz Israel folgen, sind die legitimen Kinder dieser Allianz. Die in konkret 3/2001 vorgebrachte Einschätzung verfehlt deshalb den entscheidenden Punkt. Am Beispiel Scharon wird dabei die antideutsche Methode demonstriert, gemäß der die israelische Politik als nüchtern kalkulierte Machtpolitik und damit als modern und rational dem Bild des arabischen Fanatismus und islamischen Fundamentalismus gegenübergestellt wird:

"Nun ist Sharon durchaus ein Verfechter von Eretz Israel, aber eben nicht aus Gründen der Ideologie oder der Religion. Sharon ist vielmehr ein säkularer Israeli, den es zu unkoscheren Delikatessen hinzieht und der selten in einer Synagoge gesehen wurde. Seine Motivation für den Siedlungsbau und die Kontrolle der Westbank ist ausschließlich die Sicherheit Israels."

Der entscheidende Punkt ist aber nun einmal, daß wegen der Allianz von religiöser Orthodoxie und zionistischer Staatsideologie im zionistischen Diskurs "Sicherheitspolitik" im Kern mit dem biblischen Konzept des Eretz Israel, d.h. der Rückeroberung und Verteidigung des "Heiligen Landes", verbunden ist. In den 80er Jahren vertrat Scharon den Plan, die besetzten Gebiete völlig zu annektieren und die Palästinenser nach Jordanien oder Irak, jenseits der biblischen Grenzen von Eretz Israel, zu deportieren, um das Paläsinenserproblem loszuwerden. 1993 beantragte Scharon auf einem Likud-Parteitag formell, Israel solle das Ziel der biblischen Grenzen zu seiner offiziellen Politik erklären. Er machte erst jüngst deutlich, daß kein Fuß breit mehr an die Palästinenser abgetreten werden soll: Deshalb darf "ein künftiger palästinensischer Staat allenfalls 42 Prozent des Westjordanlands umfassen" (Berliner Zeitung, 14.04.2001) und "nicht über die Gebiete hinaus reichen, die bereits unter palästinensischer Verwaltung stehen" (ebd.). Während die Forderung nach völliger Entmilitarisierung und Machtlosigkeit eines möglichen Palästinenserstaates aus reinem Machtkalkül erklärbar ist, entspricht die unflexible Haltung in der Landfrage der orthodoxen Position, wonach kein Meter erlösten Landes zurückgegeben werden darf.

Diese religiös motivierte Staatsideologie entspricht trotz gelegentlicher taktisch-pragmatischer Differenzen strategisch dem taktischen Machtkalkül der zionistischen Staatsräson, wie es im folgenden maßgeblich und klar von Reserve-General Shlomo Gazit formuliert wird:

"Israels Hauptaufgabe hat sich überhaupt nicht verändert [seit dem Ende der UdSSR] und sie bleibt von entscheidender Bedeutung. Die geographische Lage Israels im Zentrum des arabisch-muslimischen Mittleren Osten bestimmt Israel dazu, ein ergebener Wächter über die Stabilität in den umliegenden Ländern zu sein. Seine [Rolle] ist es, die existierenden Regime zu beschützen: den Prozeß der Radikalisierung zu verhindern und zu stoppen und die Expansion religiös-fundamentalistischen Fanatismus zu blockieren. Zu diesem Zweck wird Israel Veränderungen jenseits seiner Grenzen, die es als inakzeptabel betrachtet, verhindern, bis hin zu dem Punkt, daß es sich gezwungen fühlt seine militärische Macht um deren Verhinderung oder Ausrottung willen einzusetzen." (Shahak; S. 10 f.)

Gazit führt weiter aus, daß die Regime des Mittleren Ostens ohne die israelischen Drohungen schon seit langem kollabiert wären und daß Israel damit durch sein regionales Hegemoniestreben den industriell entwickelten Staaten einen wichtigen Dienst leiste. Man beachte, daß der Staat Israel genau jene reaktionären Regime beschützt und stabilisiert, welche die Anti-Nationalen so gerne als Negativ-Kontrast zum zivilisierten Israel anführen, um ihre "Verteidigung" der zionistischen Aggressoren zu rechtfertigen.

Israel und Imperialismus

Die Ausführungen des Reservegenerals Gazit stellen deutlich Israels unbestreitbares Streben nach Hegemonie über seine arabischen Nachbarn und seine ebenso unbestreitbaren Dienste für den Imperialismus dar. Daraus folgern arabische Nationalisten und ihre Anhänger in der westlichen Linken oft leichtfertig, daß Israel entweder selbst imperialistisch oder wenigstens nichts als ein Handlanger des in dieser Region seit dem Ende des 2. Weltkrieg dominanten US-Imperialismus ist.

Diese Position ist nicht neu, und unsere Antwort darauf auch nicht. Wir sind stolz darauf, in einer politischen Tradition zu stehen, die solche Positionen schon kritisierte, als viele der heutigen Anti-Nationalen noch maoistische oder autonome Wirrköpfe waren:

"Der Kampf der arabischen Massen in Israel selbst und in den besetzten Gebieten ist unlösbar mit dem Kampf gegen den reaktionären zionistischen Staat verknüpft. Wir Revolutionäre müssen deshalb jeden Kampf von Palästinensern bedingungslos gegen den israelischen Staat unterstützen, selbst wenn wir die politische Führung eines solchen Kampfes für verhängnisvoll halten und bekämpfen." Doch für die arabischen Nachbarstaaten gilt: "Wie aber soll das arabische Proletariat durch 'konsequenten' Kampf gegen Israel sich von der eigenen Bourgeoisie differenzieren? Eine kleine Tatsache macht dies unmöglich: Israel ist kein imperialistischer Staat, kein einziger ägyptischer und syrischer Arbeiter wird durch das israelische Kapital ausgebeutet. Maoisten mögen eine solche Aussage mit Wutgeheul beantworten, aber für Marxisten ist sie über jeden Zweifel erhaben." (Kommunistische Korrespondenz Nr. 1 vom Februar 1974; S. 17; Hervorhebungen im Original). Die heutige Situation, in der syrische und ägyptische Wanderarbeiter in Israel ausgebeutet werden, ändert nicht das Geringste an dieser Einschätzung für die Situation in den bankrotten arabischen Regimen. Auch heute existieren keine einseitigen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse der arabischen Länder gegenüber Israel - bedingt durch ein Übergewicht israelischen Kapitalexportes. Dieser Aspekt ist für Leninisten aber die Grundlage imperialistischer Herrschaft. Expansionspolitik und Besatzung alleine machen noch keinen Imperialismus.

Von einem arabischen Krieg gegen Israel haben die arabischen Arbeiter nichts zu gewinnen, sie sollen so nur mittels antisemitischem Chauvinismus ins ausbeuterische Schlepptau der arabischen Bourgeoisien genommen werden. Die palästinensischen Massen haben in einem solchen Krieg vom Sieg keiner Seite etwas zu erwarten: Angefangen vom Teilungskrieg 1948 zwischen Israel und (Trans-)Jordanien um die Aufteilung Palästinas ging es schließlich den arabischen Staaten nie um die Befreiung der Palästinenser und die Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates sondern um die Ausdehnung ihrer Macht gegen Israel auf Kosten der Palästinenser.

Israel:
Imperialistische Festung oder Klassengesellschaft?

Palästinenische Nationalisten und ihre unkritischen "anti-imperialistischen" Freunde unter der westlichen Linken verweisen auf die amerikanischen Finanz- und Militärhilfen für Israel und leiten daraus ab, daß Israel nichts als ein Handlanger und eine Festung des US-Imperialismus sei.

Allerdings verfolgt die israelische Bourgeoisie vor allem eigene nationale Interessen und ist ein eigenständiger Verbündeter des Imperialismus und keine bloße Marionette. Gerade weil der US-Imperialismus nicht allmächtig ist, muß er Allianzen mit regionalen Mächten schmieden, deren Anliegen er nicht unbedingt teilt. Als Israel 1967 einen Krieg mit Ägypten provozierte, durchkreuzte das amerikanische diplomatische Pläne der Annäherung an das sich nach rechts entwickelnde Regime Nassers, indem es die USA zwang vor dem Hintergrund des Kalten Krieges die Seite Israels zu beziehen. Am 8. Juni griff Israel im unmittelbaren Vorfeld des Sechs-Tage-Krieges das US-Spionageschiff Liberty an und tötete 34 Marines, verwundete 171. Als 1973 im Yom-Kippur-Krieg Ariel Scharon angeblich gegen den Willen der israelischen Regierung den Sinai eroberte und weiter nach Ägypten durchmarschierte, geschah dies gegen den Willen des US-Imperialismus. In den folgenden Jahren rangen Israel und die USA um die schließlich in Camp David vereinbarte Räumung des Sinai. Für die USA ein wichtiger Schritt in einer Teile-und-Herrsche-Politik, um Ägypten unter Sadat als Verbündeten zu gewinnen und für die Sicherung seiner Interessen im Mittleren Osten eine größere Unabhängigkeit von der eigenwilligen zionistischen Bourgeoisie zu erlangen. Bei den jüngsten Konflikten marschierte Israel am 18. April 2001 in den Gaza-Streifen ein, und ein Militärgeneral verkündete eine längere Besetzung Gazas. Dies verstieß derart offensichtlich gegen das völkerrechtliche Konstrukt der pax americana für Israel/Palästina, daß der US-Außenminister Colin Powell Israel mit deutlichen Worten zurückpfiff. Daraufhin zog sich die Armee am folgenden Tag zurück und die Regierung kassierte das Statement einer geplanten längeren Besatzung, hielt aber die Blockade der Verbindungsstraßen aufrecht und marschierte noch am gleichen Tag wieder mit Panzern und Planierraupen in den Gaza-Streifen ein.

Wichtiger als dieses Verhältnis zwischen den Verbündeten in Washington und Tel-Aviv ist aber die implizierte Vorstellung, daß Israel eine monolithischer Block sei, letztlich eine Festung von amerikanisch finanzierten Legionären statt einer Klassengesellschaft. Ohne die Bedeutung der amerikanischen Hilfen zu leugnen: Die israelische Wirtschaft lebt vor allem von der wert- und mehrwertschaffenden Arbeit jüdischer, palästinensischer und immigrierter Proletarier. Die US-Hilfen erlauben der zionistischen Bourgeoisie vor allem, einen unverhältnismäßig großen und gut ausgerüsteten Militärapparat und soziale Zugeständnisse zur Erhaltung der Massenloyalität zu finanzieren, ohne daß dadurch ihre erwirtschafteten Profite völlig aufgezehrt werden.

Die mit dieser Ausbeutung verbundenen Klassenwidersprüche sind für Kommunisten der Ansatzpunkt, um in der zionistischen Festung den Hebel zu ihrer Zerschlagung anzusetzen. Die palästinensischen Arbeiter waren seit jeher wirtschaftlich, politisch und kulturell unterprivilegiert, die sephardischen (orientalisch-stämmigen) jüdischen Arbeiter sind ebenfalls seit jeher gegenüber den askenasischen (europäisch-stämmigen) Juden wirtschaftlich und kulturell benachteiligt. Im Rahmen der neoliberalen Anpassung der israelischen Ökonomie an die Zwänge des "globalisierten" Weltmarktes verlieren viele jüdische, auch askenasische, Arbeiter ihren privilegierten Status, den sie einst gegenüber ihren arabischen Kollegen hatten.

Ohne revolutionäre Führung gelingt es auf allen Seiten der nationalen Kluft den reaktionärsten Kräften (Ultra-Orthodoxe, Islamisten) die Widersprüche und die enttäuschten Erwartungen für sich zu nutzen. Diesbezüglich unterscheidet sich die Situation in der jüdischen Nation Israels nicht von der in den arabischen Ländern.

Ein Beispiel für den durch die objektive Klassenspaltung der israelischen Gesellschaft ermöglichten gemeinsamen Klassenkampf ist der 1999 durchgeführte Streik arabischer und jüdischer Fahrer bei Tempo, einer der größten israelischen Getränkefirmen, an der die niederländische Brauerei Heineken Anteile besitzt. Der Streik für eine anerkannte Vertretung der Arbeiter im Betrieb, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne wurde vom Workers Advice Center angeführt, einer radikalen linken Organisation, die sich das Ziel gesetzt hat, als Alternative zur gelben Gewerkschaft Histradut eine neue militante Gewerkschaft aufzubauen, die jüdische und arabische Arbeiter im Kampf vereint. Dieses Beispiel zeigt im Kleinen, welche Möglichkeiten sich einer zukünftigen echten kommunistischen Führung eröffnen, wenn sie fähig ist, einen unversöhnlichen politischen Kampf gegen alle nationalistischen Irrwege zu führen.

Zwei Nationen, ein Land

Ohne den Sturz der imperialistischen Ordnung in der Region und aller Nationalbourgeoisien durch Arbeiterrevolutionen wird es im Nahen Osten keinen Frieden zwischen den Nationen geben die kapitalistische Konkurrenz treibt sie immer wieder gegeneinander, die Profitgier beraubt die Masse der Menschen aller Grundlagen für ein zufriedenes Leben und zerstört damit die materielle Basis für die Versöhnung der nationalen Feindseligkeiten und Konflikte. Der Sturz der Nationalbourgeoisie beseitigt zwar die stärkste Triebkraft des Nationalismus, beseitigt aber damit nicht automatisch die nationalen Gefühle und Identifikationen bei der Masse der Arbeiter und Bauern. Diese wird erst eine längere sozialistische Entwicklung und Erziehung zum Abklingen und schließlich Absterben bringen. Es wird seine Zeit brauchen, bis die wirtschaftlichen Verhältnisse so umfassend umgestaltet und ausgeglichen sind, bis sich das Denken und Verhalten der Einwohner auch im letzten Dorf und unter den schlechter gebildeten Schichten derart verändert hat, daß es wirklich ganz egal ist, zu welcher Nation jemand gehört. Erst dann, und nicht wenn die Antinationalen es per politisch korrektem Dekret verordnen, wird das historisch gewachsene Konzept der Nation nicht nur für die kommunistische Avantgarde sondern insgesamt endgültig an Kraft und Bedeutung verlieren. Antinationale Politik, d.h. Leugnung jeglicher Nationalität, ist daher weltfremd und kann keinen Ausweg aus dem Palästina-Konflikt weisen. Neben dieser linken Zeitgeistmode erschöpft sich der Rest der deutschen Linken darin, entweder "antideutsch" die palästinensische Nation oder "antiimperialistisch" die hebräische Nation zu leugnen. Doch nicht nur die Palästinenser, sondern auch die hebräisch sprechenden Israelis bilden nach allen relevanten Kriterien eine Nation: eine ernsthafte Nationalbewegung, eine eigene Sprache, einen engen wirtschaftlichen Zusammenhang und ein Territorium, das sie besiedeln und bewirtschaften - auch wenn es vor 50 Jahren von den Palästinensern geraubt wurde. Die Internationale Leninistische Strömung, deren deutsche Genossen z.B. in der Roten Aktion Duisburg arbeiten, lehnt es dennoch ab, die Existenz und die Rechte einer hebräischen Nation anzuerkennen und lädt zu ihrem antiimperialistischen Sommercamp Redner der radikal-islamistischen, antisemitischen Hisbollah ein. Gleichzeitig propagiert sie andererseits eine "nationale Verteidigung" (Klassenkampf Nr. 76; Herbst 2000) selbst der imperialistischen Nationen Europas gegen die neoliberale Neue Weltordnung (etwas was Lenin ohne Umschweife Sozialchauvinismus genannnt hätte). So weit wir die Genossen der ILS kennen, gibt es keinen Grund ihnen bewußten, subjektiven Antisemitismus vorzuwerfen. Doch sie und alle Vertreter der "Antiimp"-Position sollten ernsthaft überdenken, ob die Logik ihrer Politik nicht objektiv antisemitisch ist, insofern sie der hebräischen Nation vorenthält, was sie selbst imperialistischen Nationen zugesteht.

Das Tor aus dem Teufelskreis nationalistischer Gewalt im Nahen Osten kann nur dadurch aufgestoßen werden, daß die Existenz und das Selbstbestimmungsrecht beider Nationen gleichermaßen anerkannt wird. Der konkurrierende Anspruch beider Nationen auf das gleiche Territorium kann nur durch einen bi-nationalen Arbeiterstaat demokratisch, und dadurch ohne Vertreibung und Völkermord, gelöst werden.

Die israelische Friedensbewegung Gusch Shalom (Friedensblock) als linker Flügel des Zionismus favorisiert dagegen eine kapitalistische Zwei-Staaten-Lösung. Angeblich trotzkistische Organisationen wie die Sozialistische Alternative Voran (SAV) und ihre israelische Schwesterorganisation Mavak geben dieser Politik eine sozialistische Verkleidung:

"Ein sozialistisches Palästina neben einem sozialistischen Israel als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens."

Wir verteidigen das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat in den besetzten Gebieten, aber ein solcher Mini-Staat kann selbst unter sozialistischen Bedingungen die nationale Frage nicht lösen und beseitigen.

Die Forderung nach einem palästinensischen Staat neben einem israelischen Staat vernachlässigt nämlich,

erstens, daß Palästinenser und Juden gerade in Anbetracht von ca. einem Viertel palästinensischer Staatsangehöriger Israels keine Nationen mit getrennten Siedlungsgebieten bilden, sondern zwei vermischte Völkerschaften, deren nationale Frage, wie bereits erklärt, nicht durch territoriale Lostrennung abschließend gelöst werden kann;

zweitens, daß das Rückkehrrecht der 1948 und seitdem vertriebenen Palästinenser bedeutet, daß Millionen Juden und Millionen Palästinenser widerstreitende Ansprüche auf das gleiche Territorium erheben. Die Zwei-Staaten-"Lösung" verneint einseitig die Ansprüche der palästinensischen Seite;

drittens, daß infolge der zionistischen Vertreibungs- und Siedlungspolitik die hauptsächlich jüdisch und palästinensisch besiedelten Territorien als Kerngebiete der beiden geforderten Nationalstaaten ungerecht verteilt sind: Die wirtschaftlich entwickelteren Teile (einschließlich der Häfen) würden an den israelischen Staat fallen.

Der Umstand, daß diese Vorstellungen zur Lösung der nationalen Frage in einen sozialistischen Kontext gestellt werden, macht diese Kritik keineswegs hinfällig: Bevor die Früchte des Sozialismus allen Menschen gleichermaßen zu gute kommen können, wird es die Diktatur des Proletariats als Übergangsregime geben und eine Phase des Kampfes, des Bürgerkriegs und in dieser Region mit hoher Wahrscheinlichkeit des Interventionskrieges. Das Leben in dieser Phase wird vom sozialistischen Paradies noch weit entfernt sein und kleinliche Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung und des elementaren Lebensstandards (Essen, Wasser, Wohnung) werden besonders für die Bewohner der Westbank und des Gaza-Streifens eine große Rolle spielen. Solange sich die Lebensbedingungen für die Masse beider Nationen derart unterscheiden, wird es also keineswegs gleichgültig sein, zu welcher Seite der "nationalen Kluft" ein Arbeiter oder Bauer gehört. In einer solchen Situation kann jede nationale Ungerechtigkeit, jedes nationale Privileg den nationalistischen Hader wieder entfachen und die Revolution, die Arbeitermacht gefährden: Während sich der Lebensstandard keineswegs sofort automatisch angleichen würde (sondern allmählich erst infolge anhaltenden sozialistischen Wirtschaftens) könnten die palästinensischen Massen, die vergleichsweise Prosperität des israelischen Arbeiterstaates nur zu leicht als Fortsetzung des historischen zionistischen Raubs und israelische "Entwicklungshilfe" als ein Almosen aus einem Land auffassen, das ihnen eigentlich mit gleichem Recht gehören sollte. Die daraus erwachsende nationale Verbitterung würde die internationale Solidarität und Einheit untergraben und ein mächtiger Hebel der Konterrevolution werden.

Die einzig demokratische und gerechte Lösung besteht darin, nicht nur die Existenz zweier Nationen in Israel-Palästina anzuerkennen, sondern auch daß beide gleichermaßen berechtigt einen Anspruch auf das Territorium erheben, welches den Palästinensern geraubt wurde, aber auf dem jüdische Arbeiter und Bauern vieles entwickelt und aufgebaut haben. Nur eine binationale Lösung, ein hebräisch-palästinensischer Arbeiterstaat in einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens, kann dem gerecht werden. Das Zwei-Staaten-Konzept jedenfalls wird der komplexen Realität der nationalen Frage in Israel-Palästina nicht gerecht und zwar auf Kosten der palästinensischen Seite.

Für eine multinationale Arbeiterrevolution!

Israel ist weder ein vom Imperialismus unterdrücktes noch ein imperialistisches Land. Eine maoistisch inspirierte "anti-imperialistische" Politik im Stil diverser "anti-imperialistischer Fronten" kann daher keine Achse zur Mobilisierung der hebräischen Arbeiterklasse entwickeln.

Die hebräische Nation in Israel ist in Klassen gespalten. Der jüdische Nationalstaat Israel ist daher der Staat der jüdischen Bourgeoisie, die nicht nur die arabischen Arbeiter Israels sondern auch die hebräischen Arbeiter ausbeutet. Der Zionismus ist die Staatsideologie, mit der die jüdischen Ausbeuter, gegründet auf eine in sich wieder abgestufte materielle Privilegierung, den Klassenunterschied zu den jüdischen Arbeitern verschleiern wollen. Diese Privilegien wurden während der ganzen neunziger Jahre massiv abgebaut. An diesem Punkt müssen Revolutionäre den Hebel zur Mobilisierung des hebräischen Proletariats ansetzen: Mit einem System von Übergangsforderungen, das den Kampf gegen die ökonomischen Angriffe mit der Organisierung der Arbeiterklasse zur Eroberung der Macht und Enteignung der Bourgeoisie verbindet. Dabei bedürfen zwei Aspekte besonders sorgfältiger Aufmerksamkeit der revolutionären Avantgarde: der Kampf gegen jede Variante des Zionismus und der Aufbau unabhängiger Arbeiterorganisationen auf allen Ebenen des Klassenkampfes. Hebräische Kommunisten müssen eine klare Grenze gegen jeden Zionismus ziehen, indem sie betonen, daß in Israel/Palästina zwei Nationen mit gleichem Recht ein Land beanspruchen und es daher keinerlei Berechtigung für einen Judenstaat gibt. Die Zwei-Staaten-Lösung ist die linke, "friedensbewegte" Variante des Zionismus, sie ist unter dem Kapitalismus unrealistisch und selbst unter der Diktatur des Proletariats ungerecht gegen die vertriebenen Palästinenser. In Israel gibt es keine echten Arbeiterorganisationen: Die "Gewerkschaft" Histradut ist eine zionistische Organisation und war bis vor kurzem der größte kapitalistische Unternehmer des Landes. Sie entstand nicht als Arbeiterorganisation sondern als nationalistische Pionierorganisation. Nicht anders die Arbeiterpartei, die eine durch und durch bürgerlich-nationalistische Organisation ist. Der Aufbau unabhängiger Arbeiterorganisationen (Gewerkschaft, Partei, Räte) ist deshalb die vorrangige Aufgabe für Kommunisten: Vor dem Sturz des Kapitals muß sich das Proletariat von diesem zunächst unter kommunistischer Führung politisch und organisatorisch trennen. Von den "Gemeinden""demokratisch gewählte" "Volkskomitees", wie sie die angeblich Sozialistische Alternative Voran als Führungsorgane des Kampfes vorschlägt, stehen der Aufgabe der Absonderung der Arbeiterklasse aus dem klassenübergreifenden Volk entgegen und führen die Arbeiter in das Schlepptau der Nationalbourgeoisie und ihrer kleinbürgerlichen Handlanger und Ideologen. Eine solche Volksfrontpolitik wird die mörderischen nationalen Gegensätze nicht überwinden können und ist daher das größtmögliche Verbrechen formal sozialistischer Organisationen.

Arbeiter in Israel:

Kämpft für die Verteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, höhere Löhne mit automatischem Inflationsausgleich für alle! Für Komitees der Arbeiter in den Betrieben und proletarischen Vierteln, die den Kampf, die Arbeiterkontrolle über die Produktion, das Zusammenleben der einfachen Palästinenser und Juden sowie die multinationale Arbeiterbewaffnung organisieren! Nur durch sie, nicht durch die kleinbürgerliche Friedensbewegung und Menschenrechtler, können die israelischen Werktätigen den Palästinensern in den besetzten Gebieten und ihren Klassenbrüdern in den arabischen Ländern tatkräftig und wirkungsvoll die Hand reichen.

Baut wirkliche, multinationale Gewerkschaften und eine multinationale revolutionäre Arbeiterpartei auf!

Jüdische Arbeiter:

Brecht mit dem Zionismus - der Staatsräson eurer Ausbeuter, dem Deckmantel eurer Ausbeutung! Kämpft gegen alle Ungleichheiten bei dem Recht auf Einwanderung, der Vergabe von Land, staatlichen Hilfen und von Fördermitteln bei der Immigration und Ansiedlung! Folgt dem Beispiel eurer arabischen Kollegen: Schluß mit der Politik des kleineren Übels - es gibt keinen Unterschied zwischen Barak und Scharon, zwischen Arbeiterpartei und Likud, weder in ihren nationalistischen Angriffen auf die Palästinenser, noch in ihren neoliberalen Angriffen auf die Arbeiter. Keine Stimme für die Arbeiterpartei!

Für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser!

Israel raus aus den besetzten Gebieten! Wehrpflichtige: Dreht die Gewehre um! Organisiert jüdisch-arabische Arbeitermilizen!

Für das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachfahren!

Dies bedeutet kein automatisches Recht, genau an den früheren Ort zurückzukehren, wenn dies die Vertreibung der heute dort lebenden und arbeitenden Juden bedeuten würde. Wir wollen, daß sie in die generelle Gegend ihrer Herkunft zurück und sich dort ein vernünftiges Leben aufbauen können. So wie es heute in Israel öffentliche Programme zur Integration Hunderttausender jüdischer Immigranten gibt, brauchen die Arbeiter zur Versöhnung der nationalen Gegensätze großzügige Programme, um dem nationalen Haß die soziale Wurzel zu ziehen: Für ein planvolles Programm unter Kontrolle der Arbeiter zur Integration der rückkehrwilligen Palästinenser und des wirtschaftlichen Aufbaues in Gaza und Westjordanland, die von Israel seit Jahrzehnten ökonomisch stranguliert werden. Zwischen dem zionistischen Israel und einem palästinensischen kapitalistischen Mini-Staat wären solche Maßnahmen unmöglich. Nur eine Arbeiterrevolution kann diesen ebenso einfachen wie vernünftigen Vorschlägen den Weg ebnen:

Für einen binationalen hebräisch-palästinensischen Arbeiterstaat!

Für die palästinensischen Arbeiter in den besetzten Gebieten und mehr noch für die armen Bauern ist der Kampf gegen das zionistische Regime der Ausgangspunkt ihres Befreiungskampfes. Dieser Kampf muß sich gegen den Imperialismus wenden, der unmittelbar hinter ihrer Unterdrückung steht. Er muß sich aber auch kompromißlos gegen die "eigene" Nationalbourgeoisie richten, die dem Kampf im Weg steht, indem sie ihn einerseits mit Nationalismus und Antisemitismus tränkt und so die Arbeiter gegen ihre Klassenbrüder hetzt, während sie andererseits den Kampf ständig sabotiert und zu bändigen versucht, um zu ihren zionistischen Herren an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Stattdessen müssen die palästinensischen Arbeiter und Bauern ihren Blick fest auf die israelische Arbeiterklasse richten und sie für ihre gerechte Sache gewinnen.

Stürzt die palästinensische Bourgeoisie! Brecht mit ihren "radikalen" Handlangern von Hawatmeh und Hamas bis Hamas und Hisbollah! Weder "Demokratische Republik" noch "Gottesstaat" sind eine Alternative zu den korrupten palästinensischen Autoritäten. Die heroische Intifada der verzweifelten, deklassierten Jugend gegen ihre Unterdrückung hat nur eine Chance als Stütze einer multi-nationalen arabisch-jüdischen Arbeiterrevolution. Demokratie, nationale Befreiung und eine Agrarreform wird es nur durch eine Arbeiterregierung, gestützt auf die Rebellion der armen Bauern, geben. Jede politische Führung, die dem Bündnis mit den israelischen Arbeitern im Weg steht, muß beiseite geschoben und das Selbstbestimmungsrecht der hebräischen Nation in Israel muß unmißverständlich anerkannt werden. Nur im Bündnis mit dem jüdischen Proletariat können sie dem Imperialismus die Stirn bieten und an den planmäßigen Aufbau einer kollektiven Wirtschaft in den heutigen Bantustans schreiten.

Für arabische und persische Arbeiter kann der Kampf gegen den Zionismus keine direkte Linie des Klassenkampfes sein, denn sie werden anders als die Palästinenser von Israel weder ausgebeutet noch unterdrückt. Ihre objektiven Gegner in diesem Sinne sind der Imperialismus und die von ihm abhängige Nationalbourgeoisie, die in allen Teilen reaktionär ist. Der "Antizionismus" der arabischen Bourgeoisien ist daher eine antisemitische Falle für die arabischen Arbeiter. Der Unterdrückung der Palästinenser stehen die arabischen Regime in Taten entweder gleichgültig gegenüber oder sie beteiligen sich als Komplizen Israels und des Imperialismus an ihr. Daher können die arabischen Werktätigen ihre Solidarität mit den palästinensischen Massen nicht durch Jubeldemonstrationen für arabische Kriege gegen Israel, sondern nur durch direkte Hilfe und Unterstützung sowie die Methoden des Klassenkampfes gegen den Hauptfeind im eigenen Land und dessen imperialistische Oberherren verwirklichen.

Hebräische, palästinensische, arabische, persische Arbeiter:

Zerschlagt die zionistische Festung von innen und außen - für einen binationalen hebräisch-palästinensischen Arbeiterstaat! Stürzt die arabischen Regime von Damaskus bis Riad!

Verbindet die Palästinenserfrage die israelische mit der arabischen Revolution, so ist die Befreiung der kurdischen Nation das zweite zentrale Bindeglied der permanenten Revolution in Syrien, Irak, Iran und der Türkei:

Für eine sozialistische Föderation des Nahen und Mittleren Ostens von Ankara bis Riad, von Tel Aviv bis Teheran!

Zwischen dem sozialistischen Ausweg und der heutigen Barbarei liegt der Aufbau und die Verankerung einer echten kommunistischen Führung unter den Arbeitern der Region.

Dieses Programm muß deshalb die Ausgangsbasis für den Aufbau einer multinationalen bolschewistischen Partei des Nahen und Mittleren Ostens sein. Für die Wiedergeburt der Vierten Internationale - Weltpartei der Permanenten Revolution!