Die Agonie der Linken in BRD und DDR

Der Bankrott des Stalinismus hat die Offensive des Imperialismus nur verstärkt, auch in der BRD und DDR führt sie zu einem zunehmenden Rechtstrend. Nach jahrzehntelangem sich ergänzenden Verrat von Sozialdemokratie und Stalinismus erscheint die westdeutsche Arbeiterbewegung fest im Griff der SPD, die ostdeutsche ist desorientiert gegenüber den Angriffen der Konterrevolution.

In der DDR trat die Vereinigte Linke (VL) als Sammelbecken der Verteidiger des „gesellschaftlichen Eigentums“ an und — kapitulierte innerhalb weniger Wochen. Die politische Heterogenität der VL nutzte eine Gruppe „neuer“ Wendehälse, die Zusammenarbeit mit alten „Demokraten“ nahezu unkontrolliert weiter auszubauen. Auf ihrem l. Kongreß setzten sich die Anhänger des bürgerlichen Parlamentarismus mit ihrem Beschluß zur Teilnahme am Runden Tisch durch, während die versprengten konfusen „Rätedemokraten“ weiter mitmachten — um Schlimmeres zu verhindern. Nur folgerichtig führte dieser Verrat auch zur Linienänderung vom Werktätigen- zum Volkskongreß, bei dem nun alle VL-Strömungen angetreten sind, die Kollaboration mit den bürgerlichen Kräften durch „Rundtischgespräche“ auch in den Betrieben populär zu machen. Zur Schaffung einer „demokratischen Volksmacht“ dächte man zu Anfang an den Dialog, sprich Zusammenarbeit mit der SED am Runden Tisch. Aber als die bürgerlichen Kräfte dort das Heft in die Hand nahmen, hielten die VL-Vertreter mit; der überraschten Mitgliedschaft präsentierten sie einen Wahlblock mit DA, SDP u.a. Das darauffolgende Dementi schloß dennoch ein gemeinsames Bündnis mit diesen Kräften nicht aus, sondern machte dies vom Inhalt der Wahlplattform abhängig. Sollte immer noch nicht klar sein, was allen voran die SPD will? Der Restlinken in der Vereinigung nach rechts müßte es nun langsam mulmig werden, da die objektive Funktion der VL immer klarer wird: Organisierung subjektiv sozialistischer Elemente für das deutsche Kapital.

Die reale Gefahr der BRDigung der DDR hat die Demoralisierung und Rechtsentwicklung im Westen nur noch vertieft. Während der SE4J-Vorstand die Auflösung der Organisation empfiehlt, glauben die Betonköpfe der DKP allen Ernstes von der Entwicklung in der DDR verschont zu bleiben. Die generelle Richtung des europäischen Stalinismus ohne Macht ist klar: Vorwärts zur Sozialistischen Internationale Willy Brandts. Politisch den Halt am (halben) Vaterland verloren, bereiten den Westdeutschen die SED-Subventionskürzungen den organisatorischen Garaus: Und kein Phönix aus der Asche ist in Sicht — im Gegenteil: Der einstige Hoffnungsträger eines geläuterten, linken BRD-Stalinismus, Prof. Fülberth, wird zur Übelkrähe des historischen Pessimismus. Der Kapitalismus sei noch jung, nicht ausgeschlossen seine weitere Lebensdauer von Jahrhunderten, meint dieser „negative Patriot“ (UZ 05.01.90) — und das nach zwei barbarischen Weltkriegen und der Möglichkeit eines dritten, endgültigen. Die Oktoberrevolution wird von ihm neu definiert: ein „Abfallprodukt“ innerimperialistischer Auseinandersetzungen, darüberhinaus Lenins Komintern: ein „Revolutionshaufen“. Sozialismus gerät Fülberth zum platonischen „Prinzip der Gegenwehr“, wobei sich seine „Strategie der gezielten Negation“ auf Klassenkampf à la Honecker reduziert: Anerkennung der „Eigenstaatlichkeit der DDR“. Auch für ihn steht die DDR am Scheideweg, entweder vorwärts zum Sozialismus oder zurück in den Kapitalismus — für Fülberth aber nur eine rhetorische Frage, denn in der aktuellen „5. Periode des Kapitalismus“ hat letzterer den Sieg davongetragen. Was noch nicht einmal für die deutschen Imperialisten erledigt, ist für Fülberth und seine Freunde in der „Radikalen Linken“ schon beschlossene Sache: „DDR ade!&dquo; — an der DDR gäbe es nichts zu verteidigen. Und überhaupt: Staatskapitalismus existiere seit 1945 in der DDR. War und ist Fülberth also ein Ideologe der (Staats-)Kapitalisten?

Über die politisch interessierte, aber unerfahrene DDR-Arbeiterklasse und -Linke ergießt sich jetzt eine Flut trotzkoider Propaganda, die über die in der westlichen Isolation erlittenen Gebrechen hinwegtäuschen soll. Die Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) hat ältere Urheberrechte auf die Theorie des Staatskapitalismus als Fülberth. Schon zu Anfang der 50er Jahre, während des Bürgerkriegs in Korea und Beginn des Kalten Krieges, zog die britische Gruppe um Cliff, dem Mentor der SAG, es vor, lieber Trotzkis Position der militärischen Verteidigung der Arbeiterstaaten zu kippen als dem imperialistischen Druck zu widerstehen. Die SAG kann sich nicht erklären, warum die stalinistischen Bürokraten als vermeintliche Klasse nicht einheitlich und sofort auf die Seite der Bourgeoisie übertreten, ja die DDR überhaupt noch existiert. Ihr antikommunistisches Leitmotiv „Weder Washington noch Moskau“ muß besonders perfide in den Ohren deutscher Internationalisten klingen, da es den BRD-Imperialismus zur Bananenrepublik herunterspielt und so dem deutschen Nationalismus Tür und Tor öffnet.

Die Gruppe Arbeitermacht (GAM), Sektion der Liga für eine Revolutionäre Kommunistische Internationale (LRI:I), entstanden aus einer Abspaltung der Cliff-Gruppe, wiederholt zwar formal Trotzkis Einschätzung des Stalinismus, aber ihre vermeintliche Taktik „positiv an den widersprüchlichen Arbeiterforderungen anzusetzen“ führt sie immer wieder zur Kapitulation vor rückständigem Bewußtsein in der Arbeiterklasse. Zur Illustration: Statt den Kampf gegen Illusionen in den Parlamentarismus, für Räteherrschaft contra Volkskammer zu organisieren, tritt die LRKI für „Massenversammlungen, jährliche Wahlen und Abwählbarkeit“ ein, um die Gefahren des bürgerlichen Parlamentarismus auf ein Minimum zu reduzieren. Räteprinzipien auf der Grundlage des bürgerlichen Parlamentarismus! Weil sie dem bürgerlichen Druck nachgeben und sich nicht isolieren wollen, wo man sich isolieren muß, vermischen diese Mobilisierungstechniker was Lenin entgegen ähnlicher Versuche Kautskys scharf getrennt wissen wollte. Die GAM möge linken DDR-Arbeitern doch einmal erklären, warum sie in der DDR für unabhängige Arbeiterkandidaten gegen die sozialdemokratische Gefahr eintritt, aber schon jetzt weiß, daß sie'in der BRD Ende 1990 (wie schon immer) zur Wahl der SPD aufrufen wird.

Die gleichen reformistischen Appetite verspürt auch die „IV. Internationale“

Mandels, die allerdings Trotzki nicht mehr allzuoft im Munde führt. „Populär — hinterher“, diese Methode führt Mandel heute dazu in der FDJ-Zeitung Junge Welt (15.11.89) Glasnost zu verteidigen, während seine Organisation als Eintrittsbillet in die baltischen Volksfronten das Andenken estnischer Faschisten hochhält (International Viewpoint 169). In der BRD vereinigte sich die deutsche Sektion mit den Staatskapitalisten der ex-maoistischen KPD zur Vereinigten Sozialistischen Partei (USP), deren schlabberige Linie zur DDR H.J. Schulz umschreibt mit „Hände weg von der DDR! Eine revolutionäre (!) demokratische Bewegung wie die in der DDR muß bedingungslos (!) unterstützt werden — was solidarische Kritik nicht ausschließt“ (SoZ 23.11.89). Zu dieser Unterstützung der demokratischen Konterrevolution paßt ihre politische Solidarität mit der VL.

In unserer Kritik der VSP-Gründung 1986 verwiesen wir auf den revisionistischen Ursprung der aktuellen Politik der Kinder Mandels. Die von Trotzki 1938 gegründete IV. Internationale, dezimiert und isoliert nach dem II. Weltkrieg, wurde 1951 durch den Pabloismus politisch zerstört. Die Mehrheit um Pablo und Mandel prophezeiten den III. Weltkrieg und Jahrhunderte deformierter Arbeiterstaaten, in denen für den Aufbau unabhängiger trotzkistischer Parteien weder Zeit noch Platz sei. Sie lösten ihre Sektionen zugunsten von „Strömungen“ in stalinistischen, sozialdemokratischen und kleinbürgerlichen Parteien auf, um diese nach links zu drängen. Die heterogene Minderheit um das Internationale Komitee (IK) hielt zwar formal am Aufbau trotzkistischer Parteien fest, pflegte aber selbst pabloistische Nachtrabpolitik. Ihre hohle Orthodoxie konnte keine Alternative zu Mandel bieten. Eine ihrer zentralen Entgegnungen war die These vom durch und durch konterrevolutionären Charakter der stalinistischen Bürokratie, deren Anwendung der Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA), einer der IK-Wurmfortsätze, so anschaulich demonstriert: „Kämpft gegen die Verschwörung von Modrow und Kohl“ ist seine Linie, wobei er den widersprüchlichen Charakter der Bürokratie negiert und von vornherein einen militärischen Block mit ihr gegen konterrevolutionäre Kräfte ausschließt. Die Stellung der Bürokratie ist jedoch abhängig von proletarischen Eigentumsformen, so daß an bestimmten Punkten Arbeiter- und Bürokrateninteressen zusammenfallen. Modrow ist noch nicht Einkäufer sondern reaktionärer Ausverkäufer an das Kapital. Der blinde Stalinhaß treibt den BSA auf die Seite der bürgerlichen Opposition, wenn er die faschistische Gefahr in der DDR als SED-Betrugsmanöver herunterspielt und die Organisierung der Treptower antifaschistischen Kundgebung mit 250.000 Teilnehmern sabotierte. Mit Mandel teilt er das Hurra über die objektive Dynamik von Massenkämpfen, die Organisierung der Konterrevolution in Leipzig und Dresden wird vom BSA verschwiegen.

Auch für die TLD/IKL, die sich in die IK-Tradition einreiht, hat die proletarische politische Revolution in der DDR begonnen und wie der BSA hält auch sie die SPD/DDR für eine kleinbürgerliche Partei. Im Gegensatz zum BSA knüpft die IKL jedoch an der stalinophilen Seite des Pabloismus wieder an. In ihrer Propaganda umgeht sie Modrow und schont Gysi: bei ihrer Aktionsbeteiligung in Treptow kein Sterbenswörtchen zur Politik der Regierung Modrow, die den Faschisten den Boden bereitet sowie nichts gegen die Unterstützung des Ausverkaufs durch die SED/PDS-Führung. Diese Stalinophilie impliziert möglichen Streikbruch berechtigter ökonomischer Abwehrkämpfe. Mit ihrem Zweckoptimismus unterschätzt sie das Ausmaß der konterrevolutionären Gefahr, das gerade durch die in der DDR weitverbreiteten Illusionen in die SPD zum Ausdruck kommt.

Die revisionistischen DDR-Interventionen der Organisationen, die sich auf den Trotzkismus berufen, zeigen auch die Notwendigkeit, im aktuellen Tageskampf bis auf die Wurzeln der Zerstörung der IV. Internationale zurückzugehen. Das Festhalten am und die Weiterentwicklung des trotzkistischen Programms ist Voraussetzung der revolutionären Umgruppierung der Arbeiterklasse in der DDR und BRD wie in der gesamten internationalen Arbeiterbewegung, um Desorientierung und Fatalismus zu überwinden, den Reformismus stalinistischer und sozialdemokratischer Art zu zerstören, um dem Imperialismus endgültig den Kopf abzuschlagen.