Keinen Frieden mit den Mahn- und Wahnwachen!

Anfang Februar dieses Jahres tauchte in Deutschland eine neue politische Bewegung auf die mit Demonstrationen und Mahnwachen auf sich aufmerksam machte. Diese Bewegung sieht sich in der Tradition der pazifistischen Friedensbewegung und titulierte ihre Veranstaltungen als Montagsdemonstrationen, sowohl den Protest gegen die Machthaber in der ehemaligen DDR als auch die Proteste gegen die reaktionären Hartz-4-Gesetze aufgreifend.

Innerhalb der Linken gibt es eine Kontroverse über den Charakter und den Umgang mit diesen Demonstrationen und Mahnwachen, die eigentlich nichts mit den Resten der pazifistischen Linken zu tun haben, die etwa Ostern, aber auch zu anderen Anlässen, gegen Krieg und Rüstungsexporte demonstrieren. Es ist deshalb notwendig, zu analysieren, wer sich hinter den Aufrufen verbirgt, wer die Führer sind und wer hier wem hinterher läuft.

Die Irre-Führer

Welche Köpfe und Namen verbergen sich hinter diesen Demonstrationen und Mahnwachen?

Die Hauptfigur, Organisator der Berliner „Friedens-Demos“, ist Lars Märholz. Sein erster Aufruf war ein Protest gegen die Politik der amerikanischen Notenbank FED. In einem Interview mit „Voice of Russia in Berlin“ vom 7. April 2014 am Rande der Kundgebung in Berlin öffnete Märholz Tür und Tor für Geschichtsrevisionisten und Verschwörungstheoretiker:

Woran liegen alle Kriege in der Geschichte in den letzten 100 Jahren? Und was ist die Ursache von allem? Und wenn man das halt alles n bisschen auseinander klabüsert und guckt genau hin, dann erkennt man im Endeffekt, dass die amerikanische Federal Reserve, die amerikanische Notenbank, das ist eine Privatbank, dass sie seit über hundert Jahren die Fäden auf diesem Planeten zieht.
— zitiert nach „Jutta Ditfurth über rechte Unterwanderung von Friedensdemos“; hinter-den-schlagzeilen.de/2014/04/18/jutta-ditfurth-ueber-rechte-unterwanderung-von-friedensdemos/

Der Erste und Zweite Weltkrieg haben demnach nichts mit dem deutschen Imperialismus zu tun. Kein Wunder, dass ein solches Konstrukt einer persönlichen Einladung an Spinner, Reaktionäre, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, Antisemiten und Faschisten gleichkommt. Da tummeln sich auf den Montagsdemonstrationen Truther, die die Anschläge vom 11. September 2001 ganz oder in wesentlichen Teilen bestreiten und stattdessen verschwörungstheoretische Alternativerklärungen anbieten und verbreiten, Mitglieder der Alu-Hut-Fraktion, die sich durch ihre Kopfbedeckung vor telepathischer Beeinflussung durch Außerirdische schützen wollen, Chemtrailverschwörer, die in den Kondensstreifen am Himmel Chemikalien entdecken, die im Auftrag von Staaten angeblich Menschen vergiften und das Klima ändern, Esoteriker aller Art, sowie Abgeordnete der Rechten, reaktionäre Reichsbürger, Fremdenfeinde, Antisemiten und Faschisten.

Auch ist Lars Märholz nicht der unbescholtene Bürger, der auf einmal den Weltfrieden für sich entdeckt. Recherchen haben ergeben, dass er sich immer wieder dicht am rechts-nationalen Lager bewegt hat. (www.vice.com/de/read/montagsdemo-initiator-lars-maehrholz-verschweigt-seine-rechte-vergangenheit-kenfm-juergen-elsaesser/)

Auf seiner Facebook-Seite verlinkte Märholz zeitweise ein Video von Karl Richter, einem Mitarbeiter der sächsischen NPD-Landtagsfraktion. Inzwischen ist dieser Verweis verschwunden. In einer Video-Stellungnahme auf YouTube distanziert sich Märholz jedoch ausdrücklich nicht von den Inhalten von Richters Rede. (www.tagesschau.de/inland/mahnwachen100.html)

Ken Jebsen ist die zweite wichtige Figur der Aktion. Er ist ein ehemaliger Radiojournalist vom Rundfunk Berlin-Brandenburg, der wegen seiner Äußerung gefeuert wurde, der Holocaust sei eine Erfindung der Zionisten, um die Unterdrückung der Palästinenser zu rechtfertigen. Wenn er will, kann Jebsen scheinbar links daher reden, um dann in ein esoterisches „Zurück zur Natur„ zu verfallen. Sein Redestil ähnelt dem eines evangelikalen Erweckungspriesters. Als Apologet des Dritten Reiches vertritt Jebsen weder montags noch an anderen Tagen eine klassenkämpferische Perspektive.

Und da wäre noch Jürgen Elsässer. Er hat mit der Formierung dieser Friedensbewegung 2014 an sich nichts zu tun gehabt, ist aber mit seiner Publikation Compact das wichtigste Sprachrohr dieses Milieus, weil er das journalistisch-analytische Rüstzeug für diese Ideologie liefert. Elsässer ist nach eigenem Bekunden nicht homophob, hetzt nur regelmäßig gegen die ”Verschwulung” der Gesellschaft und findet die rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben unerträglich; er unterstützt deshalb Russlands Politik gegen Schwule und Lesben. Und er bekennt in seinem Blog, seine "jahrmillionenalte DNS" rebelliere gegen "Ekel-Wurst". (http://www.sueddeutsche.de/medien/esc-siegerin-conchita-wurst-europa-einig-tolerant-von-wegen-1.1959315)

2009 gründete Elsässer die auch für das rechte Spektrum offenstehende „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“.

Elsässer will einen starken Nationalstaat gegen die EU, NAFTA, Weltbank, FED oder die NATO. Die These, Deutschland sei seit 1945 nicht souverän gewesen, weil die Alliierten, allen voran die USA, noch alles Wichtige bestimmten, ist so ein ideologischer Kitt, der die Fangemeinde von Elsässer und Co. zusammenhält.

Elsässer hetzt gegen Roma und Sinti, solidarisiert sich mit dem ehemaligen Vorstandsmitglied der Bundesbank Thilo Sarrazin und dem teilweise von Sinnen gekommenen Schriftsteller Akif Pirinçci, und steht der Alternative für Deutschland (AfD) nahe. In seiner Publikation Compact verharmlost Elsässer den faschistischen Terror des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) als eine reine Geheimdienstverschwörung. Das Sonderheft der Compact, das am Anfang des Prozesses gegen Beate Zschäpe erschien und das angeblich diese Verschwörung aufdeckt, ist mittlerweile von den Anwälten der Faschisten als Beweismittel eingereicht worden.

Im Zuge der Auseinandersetzung ist Jürgen Elsässer mit der linken Publizistin und ÖkoLinX-Genossin Jutta Ditfurth aneinandergeraten. Ditfurth bezeichnete Elsässer in einer Fernsehsendung als „glühenden Antisemiten“. Elsässer verklagte nun Ditfurth. Die Anwälte des ex-Linken Elsässer drohen Ditfurth mit 6 Monaten Haft bzw. einem Ordnungsgeld von höchstens 250 000 Euro, wiederholte sie ihre Aussage. Ditfurth hat nun ihre Unterstützer dazu aufgerufen, den Antisemitismus des Elsässers zu belegen. Wir verteidigen Jutta Ditfurth gegen das juristische Vorgehen durch Elsässer. (www.ruhrbarone.de/ditfurth-vs-elsaesser-nun-gehts-vor-gericht/79500)

Die Teilnehmer

Vor allem in Berlin, aber auch mittlerweile in vielen anderen Städten, hat sich eine Ansammlung von Aktivisten gefunden, die man schlecht als Bewegung bezeichnen kann. Der vollkommen inhaltsleere Ruf nach Frieden lässt die Aussage vermissen, wer oder was Frieden mit wem schließen soll und ist verbunden mit allerlei Verschwörungstheorien und Oberflächlichkeiten, die vorgeben, Analysen zu sein. Es verwundert daher nicht, dass sich bei den Aktionen alle möglichen Spinner und Reaktionäre bis zu Faschisten tummeln.

Die Entwicklung ist sehr ernst zu nehmen. Das betrifft sowohl diese krude Friedensbewegung 2014, die gigantischen Verkaufszahlen der rassistischen und reaktionären Machwerke von Sarrazin und Pirinçci, aber auch das Auftauchen der AfD.

Die Idee einer Querfront zwischen Links und Rechts ist nichts Neues. Aber die aktuelle Entwicklung trifft den Nerv derjenigen, die einen Krieg befürchten und ist damit die erfolgversprechende, also gefährliche. Aus der Sicht dieses Milieus sind Rechts und Links überholte Kategorien, es gehe nur noch gegen die da Oben, die Verschwörung aus Elite, Geldkapital, Bilderberg und sonstigen Elitetreffen, die die Welt regieren. Das gibt denen eine leichte Antwort, die vor einer ernst zu nehmenden Analyse und Kritik der Verhältnisse zurückschrecken. Schuld an allem sollen Geheimbünde, Geheimdienste oder andere Verschwörungen sein.

Man muss sich nicht näher mit Reichsbürgern der Alu-Hut-Fraktion oder mit der Chemtrailverschwörung auseinandersetzen, aber das ideologische Konstrukt von Märholz und Co. ist in einer Klassengesellschaft vor allem zur Verdummung derer gedacht, die ein objektives Interesse am Widerstand gegen Krise, Krieg und Kapitalismus haben.

Bürgerliche Politik kann die Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse verschleiern, und es ist die Aufgabe von Revolutionären diese Verschleierung zu lüften. Geheimdiplomatie, Verhandlungen über Wirtschaftsabkommen, wie aktuell über die TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen den USA und der EU hinter verschlossenen Türen, waren und sind das A und O der bürgerlichen Herrschaft. Wir sind dagegen, dass es Geheimdiplomatie gibt. Aber es ist keine Verschwörung der Wenigen mit viel Geld, gegen die Vielen ohne Geld, sondern die normale bürgerliche Herrschaft.

Da es im Zuge der Verschärfung der politischen Krise in der Ukraine einen in der Bevölkerung wachsenden Anteil an Menschen gibt, die sich Sorge über einen Krieg mitten in Europa machen und von solchen Aktionen angezogen werden, ist es notwendig, dass die Linke und Arbeiterbewegung sich von diesen Aktionen distanziert, vor ihnen warnt und aufklärt, wer hinter der Mahnwachenbewegung steht. Es ist notwendig, eine klassenkämpferische Alternative zu Imperialismus, Krieg und bürgerlicher Herrschaft aufzuzeigen.

Die linke Diskussion

Es ist Fakt, dass es auch in der Linken Menschen gibt, die glauben, bei den Montagsdemonstrationen sei etwas Wichtiges im Entstehen. Der Erste war Pedram Shahyar, Attac-Aktivist der ersten Stunde, der auf den Montagsdemos sprach und jegliche Kritik daran verwarf.

Es gibt einen Aufruf „Für eine solidarische Auseinandersetzung mit den Montagsdemonstrationen“, welcher bezeichnend ist hinsichtlich der theoretischen und politischen Tiefflüge der Linken.

Dieser Aufruf wurde von diversen Mitgliedern von Attac, DGB, und Leuten aus der Friedensbewegung unterschrieben. Darunter mit Andrej Hunko (MdB DIE LINKE) jemand, der zum linken Flügel der Partei zählt, und Genossen aus der Interventionistischen Linken, also aus dem autonomen Milieu.

In dem Aufruf wird nur eine Abgrenzung nach rechts gefordert und ansonsten zu Toleranz aufgerufen.

Wir erkennen an, dass soziale Bewegungen, die organisch entstehen, in sich die Widersprüchlichkeit tragen, die aus der Widersprüchlichkeit ihrer Gesellschaft entsteht. Unabhängig von der Problematik einzelner Akteure oder Gruppen, macht man es sich zu einfach, die Bewegung selbst mit einem exkommunizierenden Bannstrahl zu versehen.
Artikulieren sich Teile dieser Bewegung in einer Weise, die mit rechten Ideologien kompatibel ist oder ihnen direkt entstammt, kann und muss das zurückgewiesen werden. In verschiedenen Städten hat die Bewegung mittlerweile einen klaren Trennstrich nach rechts gezogen. Deshalb rufen wir alle linken Kräfte und die klassische Friedensbewegung auf vor Ort genau hinzuschauen und wenn möglich den Kontakt, Debatte und Kooperation mit allen Leuten zu suchen, die sich aus oben genannter Motivation an den Mahnwachen beteiligen. Der inhaltliche Beitrag und die Erfahrung der Linken und der klassischen Friedensbewegung in Deutschland kann dazu beitragen eine kraftvolle und emanzipatorische Bewegung zu entwickeln, die in der Lage ist, dem anstehenden weltpolitischen Konfrontationskurs etwas entgegen zu setzen.
diefreiheitsliebe.de/bewegungen-2/fuer-eine-solidarische-auseinandersetzung-mit-den-montagsmahnwachen

Wir halten das für hochgefährliche Naivität. Die Menschen, die nichts mit Verschwörungstheorien oder rechten Positionen zu tun haben und sich auf diese Aktionen verirren, müssen aufgeklärt werden, was hinter dem Ruf nach Frieden wirklich steckt. Nur ein paar Nazis und Rassisten hinauszudrängen und das eigentliche Grundanliegen nicht zu kritisieren, reicht nicht.

Innerhalb der radikalen Linken gibt es jedoch einige Stimmen, die versuchen, diesen Montagsansammlungen etwas Gutes abzugewinnen. Dazu gehören zwei Genossen der frisch gegründeten Neuen antikapitalistischen Organisation (NaO) aus Berlin. In ihrem kurzen Aufruf kritisieren sie die Linke für ihre Kritik an den Montagsaufmärschen.

Es ist bizarr: Zwischen Masse und politischen Eliten geht ein Riss in Deutschland – und einem Großteil der antagonistischen Linken in Deutschland fällt nichts besseres ein, als sich von einem Teil des daraus hervorgehenden Politisierungsprozesses, also den Montagsdemonstrationen, zu distanzieren. Diese seien obskur, ja deutlich rechts. Das ist ein politisches Armutszeugnis und sagt mehr über den Zustand der radikalen Linken, als über den der realen Bewegung aus.
— Farbio Montale, Michael Prütz: „Die Rebellion gegen die EU ist gerechtfertigt“; (nao-prozess.de/die-rebellion-gegen-die-eu-ist-gerechtfertigt/)

Im restlichen Text wird dann zwar von rechten Spinnern geschrieben, man müsse das jedoch alles von links kritisieren, und die Kritik gäbe doch gute Interventionsmöglichkeiten in diese Montagsdemonstrationen. Viel Spaß dabei, Genossen, aber immer den Alu-Hut aufsetzen, sonst seht ihr zu sektiererisch aus!

Unser Ausgangspunkt ist die aktuelle, objektive Lage, auch wenn sie nicht besonders rosig aussieht: Trotz der weltweiten Krise gibt es nur wenig soziale Kämpfe in Deutschland. Dort, wo die Kämpfe intensiver geführt werden, in Griechenland, Spanien oder Portugal, haben sie nicht zum Aufbau einer revolutionären Organisation geführt. Das darf aber nicht dazu führen, dass Revolutionäre Frieden mit Verschwörungstheoretikern schließen. Solche Theorien verhindern eine tiefer gehende Analyse der herrschenden Verhältnisse und führen in die Irre.

Kapitalismus und Imperialismus sind komplexe Systeme, die nicht mit Schwarz-Weiß-Malerei zu erklären sind. Und auch nicht mit dem Schema Der-Feind-meines-Feindes-ist-mein-Freund, das ein Teil der Linken dazu bringt, entweder mit islamistischen Gruppen zu sympathisieren oder sich als Freunde Israels und der USA zu verstehen.

Solange es den Kapitalismus gibt, wird es auch Kriege geben. Das ist die Logik der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Wirtschaftsunternehmen und zwischen den Nationalstaaten auf der Jagd nach den besten Ausbeutungsbedingungen und der Suche nach dringend benötigten Rohstoffen für die Warenproduktion. Diese Logik, und nicht diese oder jene Herrschaftsclique, stecken hinter den immer wiederkehrenden Konflikten, die nicht unbedingt, aber doch sehr oft, zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen.

Der politische Kampf für einen klassenbewussten Widerstand steht im direkten Widerspruch zum Bewusstsein der Montagsdemonstrationen für Frieden.

Update

Am 10. Dezember 2014 verkündete das Landgericht München sein Urteil, wonach Jutta Ditfurth ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro angedroht wird oder ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren).

Am 16. Dezember antwortete Ditfurth auf die Frage Gerd Scobels, der sie für die Sendung „Kulturzeit“ interviewte, ob sie die Begründung des Urteils kenne:

„Ja. Klar, die kenne ich inzwischen, die hab’ ich gelesen und der Kern der Geschichte ist, dass dieses Münchner Landgericht tatsächlich der Auffassung ist – und das hat ja viel Empörung auch im Ausland erregt –, dass nur noch der ein „Antisemit“ genannt werden darf, der sich positiv auf die Zeit von ’33 bis ’45 bezieht. Damit hat dieses Gericht in München Deutschland auf einen Schlag von der Mehrheit seiner Antisemiten befreit.“
www.3sat.de

Spendenaufruf

Jutta Ditfurth wird in Revision gehen. Für die Kosten der ersten Instanz und der Revision gibt es einen Spendenaufruf. Die IBT unterstützt diesen:
Kontoinhaberin: Jutta Ditfurth
Verwendungszweck: Elsässer-Prozess
Konto-Nr.: 1200881450
Frankfurter Sparkasse 1822
BLZ: 50050201
IBAN: DE61500502011200881450
BIC: HELADEF1822